Sie wollen uns erzählen

Seit mehr als 25 Jahren macht Tocotronic schon Musik und hat bereits Generationen von Musikliebhabern, Kritikern und Fans erfreut, beschäftigt, begeistert und nicht selten durch ihre Wandel von Album zu Album vor den Kopf gestoßen. Nach ihrer Gründung 1993 folgte mit Digital ist besser 1995 das erste Album und beschloss den ersten Erfolg der Band, die sich wegen ihrer Outfits (Trainingsjacke, Cordhose, Seitenscheitel) und ihrer Lieder schnell einen Ruf unter ihren vielen Bewunderern erspielte. Über die Jahre haben sich Dirk von Lotzow, Jan Müller und Arne Frank, welche die Gründungsmitglieder der Band bilden, immer mehr hin zu einer Band hin entwickelt, die in ihren Songs nicht nur aktuellen Themen der Zeitgeschichte aufgreift, sondern auch sprachlich immer wieder die Grenzen des Deutschen austestet und diese bisweilen gar überschreitet.

Aus dem Anlass dieses Jubiläums in der Bandgeschichte gab es Zeit für eine ganz besondere Art der Rückschau auf die Karriere der Band, die Veränderungen, die sie durchmachte und die Stile, die sie mit ihrer Musik durchschritt. In dem von Michael Büsselberg herausgegebenen Comicband Sie wollen uns erzählen geben sich zehn Comiczeichner und -autoren die Ehre mit einem Comicstrip, teils eher Collage, teils eine Kurzgeschichte, inspiriert von zehn Songs der Hamburger Band. Vor jedem der einzelnen Segmente gibt Dirk von Lotzow eine Geschichte des jeweiligen Songs zum Besten, erzählt von dessen Entstehung oder wie er heute zu diesem steht, während auf der nächsten Seite die Autoren und Illustratoren von ihren Assoziationen zum Lied oder zur Band berichten.

Wir müssen kapitulieren

Wer von einer Comicsammlung wie Sie wollen uns erzählen so etwas wie eine Art Best-of-Album in Comic-Form erwartet, wird wenig Freude an dem Band haben. Nicht immer fällt die Wiederbegegnung mit einem Lied oder Tocotronic leicht, auch den Musikern selbst nicht, die sehr wortreich über die Inspiration zu Songs wie Drüben auf dem Hügel, Let there be rock oder Die Erwachsenen sprechen, genauso wie die Künstler, welche teils sogar zugeben, sie können mit den neueren Sachen der Band nicht mehr so viel anfangen. Es geht um eine Begegnung mit einer Stimme, die rebelliert, die lyrisch verworren Liedtexte dichtet und einen Blick auf eine Welt, auf die Jugend, auf die Heimat und damit auf Deutschland eröffnet.

Der Facettenreichtum der künstlerischen Ausdrucksform, der Bilder, der Figuren und der Dialoge spiegelt die Vielfalt wider, welche sich in den Texten der Band zeigt. Es ist die Begegnung mit den verlassenen und vergessenen Orten in unserem Land, mit dem Abschied von einem Leben und dem Start eines neuen. Es ist die Heimat, die uns in den Songzeilen und den Panels sowie das sich verändernde Lebensgefühl, auf was hier in vielfacher Weise verwiesen wird. Unabhängig von der Episode, die man liest, und dem Song, dem man bestenfalls noch bei der Lektüre hört, ist es dieser Prozess im Ausdruck, das Lyrische, das Langweilige und das Rebellische, was einem entgegenspringt in dieser herrlich uneinheitlichen Sammlung, die genauso teils disharmonisch ist wie die Band selbst. Und das ist als Kompliment gemeint.