Eigentlich wollte Emi Cilibiu (Katia Pascariu) nur ein bisschen Spaß haben, weshalb sie sich und ihren Mann beim Sex filmte. Dabei geht es ordentlich zur Sache. Warum auch nicht? Es sieht ihnen ja keiner zu, zumal sie beide Masken tragen, mit denen sie keiner erkennt. So dachten sie zumindest. Als das Video jedoch auf einer öffentlich zugänglichen Pornoseite landet, ist die Hölle los. Die beiden werden trotz allem schnell identifiziert. Das wird besonders für Emi zu einem Problem, da sie als Lehrerin an einer renommierten Schule unterrichtet. Während die Schüler und Schülerinnen ihr Vergnügen haben mit der kleinen Bettakrobatik ihrer Lehrerin sind die Eltern empört und fordern ihren Ausschluss …
Eine Filmstimme wie keine andere
In den letzten Jahren hat sich der rumänische Regisseur Radu Jude als eine der ungewöhnlichsten und zugleich renommiertesten Stimmen unter den europäischen Filmschaffenden etabliert. So erhielt er 2015 jede Menge Lob für sein Westerndrama Aferim!, in dem ein Polizist Anfang des 19. Jahrhunderts nach einem entflohenen Jungen sucht. Später nahm er sich ebenfalls mehrfach historischer Themen an. „Mir ist es egal, wenn wir als Barbaren in die Geschichte eingehen.“ (2018) machte aus einem Theaterstück über ein Holocaust-Massaker 1941 eine beißende Meta-Groteske. In Uppercase Print (2020) erinnerte er an einen Jugendlichen, der 1981 wegen regimekritischer Parolen von der rumänischen Geheimpolizei verhört wird.
In seinem neuen Film Bad Luck Banging or Loony Porn ist Radu nun fest in der Gegenwart verankert, und das gleich mehrfach. Da wäre zum einen das Thema Corona. Natürlich wurden seit dem Ausbruch der Pandemie schon mehrere Filme gedreht, welche die besondere Zeit in der einen oder anderen Form aufnehmen. Songbird machte aus dem allgegenwärtigen Virus einen reißerischen Thriller, Homevideo-Produktionen wie Liebe. Jetzt! zeigen das Leben während des Lockdowns. Radu geht da einen anderen Weg. Direkt thematisiert wird die Pandemie nicht. Man sieht aber in fast jeder Einstellung irgendwelche Leute, die Masken tragen oder anderweitig Maßnahmen ergreifen – die einen mehr, die anderen weniger.
Ein scharfer Blick auf unsere heutige Zeit
Für die eigentliche Geschichte rund um Emi und ihr explizites Skandalvideo ist das zwar ohne große Auswirkungen. Prinzipiell hätte diese auch ein Jahr vor der Pandemie spielen können. Und doch sind die Umstände eng mit dem Inhalt verbunden. Bad Luck Banging or Loony Porn ist weniger ein Film, bei dem es auf die Handlung ankommen würde. Stattdessen hat Radu hiermit ein Porträt seiner Mitmenschen gedreht. Ein Porträt, welches – wie bei ihm nicht anders zu erwarten ist – nicht unbedingt schmeichelhaft ausfällt. Ob wir nun mit Emi auf den Straßen unterwegs sind, einen Zwischenstopp in einem Supermarkt einlegen oder ihr am Ende von den empörten Eltern der große Prozess gemacht wird, es läuft immer auf Konfrontationen hinaus. In einem Großteil der Einstellungen ist eine Aggression zu spüren, mal latent, mal etwas offener. Hier heißt es jeder gegen jeden und jeder nur für sich.
Daraus hätte man leicht ein Sozialdrama machen können. Filme wie Sorry We Missed You oder Die Wütenden – Les Misérables zeigten auf unterschiedliche Weise, aber doch ähnlich schockierend, wie unsere Gesellschaften auseinanderbrechen. Radu Jude begegnet dieser Entwicklung aber mit viel Humor. Genauer lässt er keine Gelegenheit ungenutzt, um über seine Mitmenschen zu spotten und sie in all ihrer Lächerlichkeit preiszugeben. Der Höhepunkt dabei ist natürlich der finale Prozess, in dem jeder kräftig mitredet und eigene Meinungen kundtut, ganz gleich ob derjenige nun etwas zu sagen hat oder nicht. Die Ansammlung der Eltern wird zum Querschnitt einer bigotten Gesellschaft, in der Heuchelei und Verschwörungstheorien Hand in Hand gehen, vom Schutz der Kinder geredet wird, nur um im Anschluss über Homosexuelle oder Ausländer herzuziehen.
Verspielt, unerschrocken und brutal komisch
Dass das keine schlüssigen Argumente sind, die schrillen Einwürfe keinem inhaltlichen Konzept folgen, sondern nur dem inneren Wunsch, besser zu sein als die anderen, ist klar. Radu geht es hier nicht um subtile oder ausbalancierte Einblicke. Stattdessen wird munter draufgehauen und wild zusammengeworfen. Das gilt auch für den Film an sich, der bei der Berlinale 2021 Weltpremiere hatte und mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde. Der ohnehin für seine filmischen Experimente und das Austesten von Grenzen bekannte Radu zeigt sich erneut von einer sehr verspielten Seite. So ist der gesamte Mittelteil eine bizarre, böse und gleichzeitig brutal lustige Lexikon-Auseinandersetzung mit seinem Land, welche nach Worten unterteilt genüsslich die Gesellschaft seziert.
Und wenn Bad Luck Banging or Loony Porn zum Schluss die Auseinandersetzung völlig eskalieren lässt und seine diebische Freude damit hat, Erwartungen endgültig zu zertrümmern, dann ist das nicht nur eines der irrsten und unerschrockensten Filmerlebnisse der letzten Zeit, welches wieder und wieder vor den Kopf stößt. Radu hat einen Film gedreht, der den Moment in seiner Widersprüchlichkeit perfekt einfängt und dabei doch noch lange nachhallen wird. Der Protagonistin mag ihre sexuelle Freizügigkeit nicht viel Glück gebracht haben. Für das Publikum ist das filmische Drumherum dieser bitteren Gesellschaftssatire dafür ein absoluter Glücksfall.
OT: „Babardeală cu bucluc sau porno balamuc“
Land: Rumänien, Luxemburg, Kroatien, Tschechische Republik
Jahr: 2021
Regie: Radu Jude
Drehbuch: Radu Jude
Musik: Jura Ferina, Pavao Miholjevi
Kamera: Marius Panduru
Besetzung: Katia Pascariu, Claudia Ieremia, Olimpia Mălai, Nicodim Ungureanu, Alexandru Potocean, Andi Vasluianu
https://www.youtube.com/watch?v=fOdjwaxaY5Q
Wie ist er auf die Idee für die Geschichte gekommen? Und sollte es überhaupt eine Rolle spielen, was Lehrer und Lehrerinnen privat so tun? Diese und weitere Fragen haben wir Regisseur Radu Jude in unserem Interview zu Bad Luck Banging or Loony Porn gestellt.
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
---|---|---|---|---|
Berlinale | 2021 | Goldener Bär | Sieg | |
Europäischer Filmpreis | 2021 | Beste Regie | Radu Jude | Nominierung |
Bestes Drehbuch | Radu Jude | Nominierung |
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