Drift Away Albatros Jérémie Renier
© Guy Ferrandis

Drift Away

Inhalt / Kritik

Drift Away Albatros
„Drift Away“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Privat könnte es für Laurent (Jérémie Renier) nicht besser laufen. Seit zehn Jahren sind er und Marie (Marie-Julie Maille) nun schon ein glückliches Paar, ihre kleine Tochter (Madeleine Beauvois) ist ihr ganzer Stolz. Jetzt sollen dann auch endlich die Hochzeitsglocken klingen. Beruflich sieht es bei dem Polizisten, der in einem kleinen Ort in der Normandie arbeitet, hingegen nicht ganz so toll aus. Immer wieder kommt es zu hässlichen oder traurigen Zwischenfällen, die Laurent zusetzen, auch wenn er sich das zu Hause nicht anmerken lassen will. Und dann wäre da noch der Bauer Julien (Geoffrey Sery), der an den widrigen Bedingungen zunehmend verzweifelt und sich von allen im Stich gelassen fühlt …

Das Warten auf die Geschichte

Es gibt Filme, die machen schon in den ersten fünf Minuten klar, worum es in ihnen geht. Da heißt es einsteigen, losfahren und sich auf das angekündigte Abenteuer einlassen. Bei Drift Away ist das anders. Eine der ersten Szenen zeigt, wie eine idyllische Hochzeitsszene unsanft bombardiert wird, was Erwartungen von schwarzer Komödie bis zu einem Krimi weckt. Eine andere stellt uns Lauren und seine Familie vor, was ein schönes Familiendrama impliziert. Danach wandelt sich das Werk in eine Art Dorfporträt, wenn wir nach und nach die verschiedensten Leute kennenlernen, ihre Geschichten kennenlernen. Im letzten Drittel kommt dann gewissermaßen das Hauptthema, welches dem Film auch seinen Titel gegeben hat.

Die einzige Verbindung zwischen den einzelnen Elementen ist Laurent. Er ist der Mittelpunkt der Geschichte, ist in fast alle Szenen irgendwie zu sehen. Tatsächlich funktioniert Drift Away am besten als das Porträt einer Person, die anhand dieser vielen verschiedenen Bestandteile charakterisiert wird. Die braucht es dann auch tatsächlich, da der Polizist selbst verschiedene Facetten aufweist, die nach und nach enthüllt werden. Das Bild ist dabei im Grundsatz durchaus positiv. Er ist ein liebevoller Partner und Vater. Ein Mensch auch, der sich um seine Mitmenschen kümmert und versucht für sie da zu sein, gerade auch für diejenigen, die gerade eine Krise durchmachen. Und das sind einige in dem Dorf.

Zwischen Sozialdrama und Existenzangst

Tatsächlich hätte Drift Away, das im Wettbewerb der Berlinale 2021 Premiere feierte, ein sehr gutes Sozialdrama werden können, das so unterschiedliche Missstände wie Missbrauch in der Familie und die Situation der Landwirte aufgreift. Hier an der Küste im Nordwesten Frankreichs lassen sich die Touristen gerne ablichten. Ansonsten interessiert sich aber niemand für die Nöte und Belange der Menschen. Es herrscht eine Atmosphäre des Verlassenwerdens, des stillen Auseinanderbrechens. Immer wieder gibt es die Hilfeschreie, die im Meeresrauschen verschwinden, die keiner hören oder beantworten will. Auch Laurent steht dem Ganzen hilflos gegenüber, kommt mit guten Absichten. Aber was zählen die schon?

Diese Hilflosigkeit wird ihm dann irgendwann auch zum Verhältnis, wodurch der gesamte Film etwas kippt. Es ist auch dieses Drittel, an dem sich nicht wenige im Publikum stören werden. Nicht allein, dass in Zeiten, in denen das Fehlverhalten von Polizisten angeprangert wird – vor allem Rassismus und übertriebene Gewalt –, ein solcher in Schutz genommen wird. Es ist auch die Art und Weise, wie Laurent mit einem Zwischenfall umgeht oder eben nicht umgeht, die irritiert. Wir beobachten einen Mann, der schon in anderen Situationen Zeichen von Überforderung deutlich machte und der nun mit diesen Folgen konfrontiert wird. Doch anstatt dies wirklich zu tun, sucht er die Flucht, will erst einmal weg, alles hinter sich lassen. Was Drift Away ihm auch gestattet, mit erstaunlich wenig Gegenwehr.

Gut gespielte Ambivalenz

Dem kann man natürlich kritisch gegenüberstehen. Es wird nicht ganz klar, was Regisseur und Co-Autor Xavier Beauvois in Drift Away an dieser Stelle aussagen will – oder ob überhaupt eine Aussage getroffen werden sollte. Aber es ist interessant dabei zuzusehen. Jérémie Renier (Slalom, Der andere Liebhaber) zeigt erneut eine recht große Bandbreite in seinem Spiel. Und er demonstriert wiederholt seine Vorliebe für ambivalente Figuren. Der belgische Schauspieler überzeugt dabei sowohl in den stärker dokumentarischen, episodenhaften Szenen der ersten Hälfte wie auch in der zweiten, wenn aus dem Film ein existenzielles Drama über einen Mann wird, der erkennen muss, dass seine Vorstellungen und die Realität nicht immer zusammenpassen. Ein Mann, der in einer Krise alles zu hinterfragen beginnt: seine Arbeit, sein Handeln, sich selbst. Ein Mann, der erst fliehen muss, um ankommen zu können.

Credits

OT: „Albatros“
Land: Frankreich
Jahr: 2020
Regie: Xavier Beauvois
Drehbuch: Xavier Beauvois, Frédérique Moreau, Marie-Julie Maille
Kamera: Julien Hirsch
Besetzung: Jérémie Renier, Marie-Julie Maille, Victor Belmondo, Iris Bry, Geoffrey Sery, Olivier Pequery, Madeleine Beauvois

Interview

Was bedeutete es für ihn, einen Gendarm zu spielen? Und wie können wir aus Krisen herausfinden? Diese und weitere Fragen konnten wir Hauptdarsteller Jérémie Renier in unserem Interview zu Drift Away stellen.

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„Drift Away“ beginnt als eine Art Sozialdrama, wenn wir einem Polizisten und seiner täglichen Arbeit in einem kleinen Küstenort folgen. Dabei trifft Idylle auf das Gefühl der Hoffnungslosigkeit, bevor sich der Film in ein existenzielles und sehr gut gespieltes Drama verwandelt, über einen völlig überforderten Mann, der in der Krise verloren ist und alles zu hinterfragen beginnt.
7
von 10