Das Ende der Welt fotografieren? Nein, so wirklich schlau werden Si-yeon (Si-yeon Seol), Yeon-woo (Yeon-woo Bae), So-jung (So-jung Park) und Song-hee (Song-hee Han) nicht aus der Aufgabe, die ihnen da in ihrem Fotoclub gestellt wird. Denn eigentlich gibt es das doch gar nicht. Aber sie machen das Beste daraus. Und so schnappen sich die vier ihre analogen Einwegkameras und fahren mit der U-Bahn erst einmal ans Ende der Stadt. Schließlich kennen sie sich außerhalb von Seoul nicht aus. Wenn sie erst einmal draußen sind, werden sie schon etwas finden. Ganz einfach ist das aber nicht. Irgendwie ist dort niemand, ziellos streifen sie umher, auf der Suche nach Motiven oder Inspirationen und lernen dabei die Welt von einem neuen Blickwinkel aus kennen …
Das Abenteuer vor der Haustür
Abenteuer zu erleben, das ist in der heutigen Welt recht schwierig geworden. Es gibt nur noch wenige Orte, die unbekannt sind. Die Globalisierung und Vernetzung hat zudem dazu geführt, dass man sich selbst im Ausland immer weniger fremd fühlt. Umso erfrischender und schöner ist daher, wie einen Short Vacation daran erinnert, dass es durchaus noch Formen des Abenteuers geben kann, wenn man sich darauf einlässt. Dafür braucht es nicht einmal exotische Tiere, mächtige Feinde oder mit Fallen versehene Schatzkammern. Stattdessen lässt das südkoreanische Drama einfach vier Mädchen auf die Welt los und überlässt sie ein wenig ihrem Schicksal und der eigenen Neugierde.
Die Handlung ist entsprechend wenig spektakulär. Wir beobachten sie während der Bahnfahrt bis ans Ende der Stadt, laufen mit ihnen Feldwege entlang, hören ihren Gesprächen zu, wenn sie die Nacht in einem leerstehenden Haus verbringen. Dramaturgische Höhepunkte oder brenzlige Situationen kommen darin nicht vor. Einen Platz zum Unterstellen zu finden, wenn es in Short Vacation plötzlich anfängt zu regnen, ist da schon das Höchste der Gefühle. Das dürfte für einige recht langweilig klingen. Tatsächlich ist das hier sicher nicht für ein Publikum gedacht oder geeignet, das nennenswerte Taten braucht, um einem Film Aufmerksamkeit zu schenken.
Aus der Freude am Moment
Und doch war das Langfilmdebüt des Regieduo Kwon Min-pyo und Han-Sol Seo einer der Geheimtipps der Berlinale 2021. Anders als etwa Introduction des ungleich bekannteren Kollegen Sang-soo Hong, das es zeitgleich bis in den Wettbewerb geschafft hatte, ist die Banalität des Alltags kein Selbstzweck. Stattdessen zeigt der Film auf, dass in dem Unbekannten und dem Unbemerkten ein eigener kleiner Zauber innewohnt. Short Vacation nimmt uns mit in ein Alter, das noch mit einer natürlichen Neugierde verbunden ist. Zwar überwiegt bei den Mädchen zunächst die Skepsis. Sie wissen nichts mit der Aufgabe anzufangen, sind mit der Situation auch etwas überfordert. Doch mit der Zeit entwickelt sich eine Begeisterung, einfach herumzulaufen und zu fotografieren. Nicht um daraus eine perfekte Selbstinszenierung zu machen, die danach in sozialen Medien geteilt wird, in der Hoffnung auf Anerkennung. Es ist die Freude am Moment, die sie antreibt.
Die überträgt sich auch auf das Publikum, sofern es für dieses Thema und die Stimmung empfänglich ist. Zwar lief der Film in der Sektion Generation, welche meistens mit einer jüngeren Zielgruppe verbunden ist. Bei Short Vacation dürfen aber auch Erwachsene zuschauen. Vor allem solchen, die eine Neigung zur Nostalgie haben, wird hier das Herz übergehen. Der Trip erinnert an Sommer, die nie zu enden schienen. Erinnert an gemeinsame Unternehmungen, wenn die Welt erkundet werden wollte. Erinnert an eine Spontaneität, wie man sie sich nur leisten kann oder will, während man jung ist. Einfach loslaufen, sich etwas anschauen, vielleicht auch mal kräftig verirren, wenn es sich ergibt. Es kann ja nicht wirklich schaden. Wenn dabei einiges schief geht, die Aufnahmen der Nachwuchsfotografinnen ihre Mängel haben, dann trägt das sogar zu dem besonderen Charme der Improfahrt bei.
Erleben in Gemeinschaft
Short Vacation ist in der Hinsicht eine Mischung aus dem sommerlichen Reise-Bonding in Stand by Me – Das Geheimnis eines Sommers und der Liebeserklärung an vergessene Alltagsschätze, wie wir sie in Cleo fanden. Bei der südkoreanischen Variante funktioniert das jedoch meist ohne Sprache. Die oft improvisierten Dialoge bringen keine Erkenntnisse oder geben vor, wohin die Reise geht. Es dauert auch eine Weile, bis wir überhaupt mehr über die jungen Protagonistinnen erfahren. Da steht dann doch mehr die Gruppendynamik im Vordergrund als eine individuelle Charakterisierung. Doch was oft ein Manko ist – mangelnde Figurenzeichnung – ist hier Teil eines gemeinsamen Erlebens. Es geht eben gerade auch darum, langsam zusammenzuwachsen durch den Trip, sich zu öffnen für andere Menschen, andere Erfahrungen und eine Welt, die uns umgibt und dabei doch unbekannt ist.
OT: „Jong chak yeok“
Land: Südkorea
Jahr: 2020
Regie: Kwon Min-pyo, Han-Sol Seo
Drehbuch: Han-Sol Seo
Kamera: Jae-man Park
Besetzung: Si-yeon Seol, Yeon-woo Bae, So-jung Park, Song-hee Han
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