Genug ist genug! Und so beschließen die drei Prostituierten Coral (Verónica Sánchez), Wendy (Lali Espósito) und Gina (Yany Prado), alles hinter sich zu lassen. Den Club Las Novias, in dem sie täglich ihre Körper verkauften. All die Männer, für die sie sich erniedrigen mussten. Und natürlich Romeo (Asier Etxeandia), Besitzer des Clubs und ihr Zuhälter. Der wiederum ist gar nicht glücklich darüber, dass sein Eigentum einfach so verschwinden will, zumal er von ihnen auch noch krankenhausreif geschlagen wurde. Und so schickt er seine beiden Handlanger Moisés (Miguel Ángel Silvestre) und Christian (Enric Auquer) hinterher, damit sie die drei zurückbringen und für ihre Taten büßen lassen sollen. Die wiederum tun in ihrer Verzweiflung alles dafür, um nicht wieder zurück zu müssen – was blutige Folgen haben wird …
Wenn Frauen zurückschlagen
Gerade im B-Movie-Bereich wimmelt es vor ihnen: Geschichten, in denen Frauen misshandelt wurden, die dann aber den Spieß umdrehen und Jagd auf ihre Peiniger machen. Das kann mal sehr sehenswert sein, wie bei dem stilbewussten Revenge. Ein Großteil siedelt sich aber im unteren Qualitätssegment an, wie zuletzt bei der Gurke Ravage – Einer nach dem anderen. Die meisten dieser Filme kranken daran, dass sie ausgerechnet der unfreiwilligen Heldin wenig Entfaltungsspielraum geben. Wer die Protagonistin ist, interessiert niemanden. Vielmehr wird ihr Leid als Vorwand genommen, damit die Frauen nach und nach alle möglichen Männer kaltmachen und dabei schon ihre eigene brutale Seite entdecken. Denn wem Gewalt angetan wurde, der darf sie auch selbst anwenden, ohne dass man sich als Zuschauer deswegen schlecht fühlen müsste.
Bei der Netflix-Serie Sky Rojo ist das ein wenig anders. Nicht nur, dass es hier gleich drei Frauen sind, die bis auf ihr gemeinsames Schicksal nicht viel gemeinsam haben, sich aber der lieben Flucht willen zusammenraufen müssen – quasi die weibliche Ausgabe der Buddy Movies. Sie haben auch deutlich mehr zu erzählen. Genauer verfolgen die acht Folgen der ersten Staffel mehrere Erzählstränge. Während der Hauptstrang von der Flucht des Trios berichtet und den unglücklichen Begegnungen mit ihren Verfolgern, darf das Publikum durch Flashbacks mehr über alle Beteiligten erfahren. Da geht es mal um die Frage, wie sie überhaupt in dem Club gelandet sind. Aber auch die Erfahrungen, welche sie dort sammeln mussten, werden ausgiebig thematisiert.
Wild und stilbewusst
Anders als sein White Lines letztes Jahr, welches aus den ernsten Themen eine enttäuschend ziellose Seifenoper machte, gelingt es Álex Pina mit seiner Co-Serienschöpferin Esther Martínez Lobato hier, eine zwar wilde, aber doch in sich stimmige Mischung zu machen. Das bedeutet nicht nur, dass Vergangenheit und Gegenwart fließend ineinander übergehen. Auch bei der Genreeinteilung werden munter Grenzen zertrümmert. In Sky Rojo treffen dramatische Geschichten auf spannende Duelle im Thriller-Gewand. Zwischendurch heißt es, in einem Roadmovie quer durchs Land zu fahren, immer auf der Flucht oder der Jagd. Gleichzeitig mangelt es nicht an Humor. Allerdings einem, der meist von einer sehr dunklen Färbung ist und die alte Grausamkeit der Roadrunner-Zeichentrickfilme zelebriert.
An manchen Stellen wirkt Sky Rojo selbst ein bisschen wie ein Comic. Nur weil die Geschichte viele tragische Elemente enthält und das eine oder andere Menschenleben sinnlos und vorzeitig beendet wird, heißt das schließlich nicht, dass deswegen alles trüb und düster aussehen muss. Stattdessen explodieren die Szenen oft vor lauter Farben. Wer sich nur die Bilder ansieht, könnte immer mal wieder den Eindruck haben, dass hier vor allem eine Party gefeiert werden soll. Ein stilbewusster Gute-Laune-Rausch mitten durch alle Abgründe und über die eine oder andere Leiche hinweg. Dazu gibt es Details ohne Ende, weshalb man immer wieder versucht ist, auf die Pausetaste zu drücken.
Fortsetzung folgt
Letzteres Bedürfnis hat aber auch damit zu tun, dass hier – trotz der Rückblicke – mit einem hohen Tempo durch die Geschichte gebrettert wird. Anstatt der üblichen Episodenlänge zwischen 45 und 60 Minuten kommen diese hier gerade mal auf 20 bis 30, was eigentlich der Sitcom-Norm entspricht. Während viele Netflix-Serien ohne Gespür die Länge strecken, um ein imaginäres Ziel zu erreichen, da mag man es hier etwas kompakter. Ein anderes typisches Netflix-Merkmal gibt es zwar auch hier, das des leidigen Cliffhangers. Immerhin: Eine zweite Staffel ist bei Sky Rojo bereits angekündigt, was die Chancen steigert, auch ein tatsächliches Ende sehen zu dürfen. In der Zwischenzeit darf man sich auf ein explosives Trio freuen und ein ungleiches Männer-Frauen-Duell, bei dem mal die eine, mal die andere Seite die Oberhand hat.
OT: „Sky Rojo“
Land: Spanien
Jahr: 2021
Regie: Jesús Colmenar, David Victori, Óscar Pedraza, Eduardo Chapero-Jackson, Javier Quintas, Albert Pintó
Drehbuch: Álex Pina, Esther Martínez Lobato, Mercedes Rodrigo, David Barrocal, Javier Gomez Santander, David Oliva
Idee: Álex Pina, Esther Martínez Lobato
Kamera: Migue Amoedo, David Azcano, David Acereto
Besetzung: Verónica Sánchez, Lali Espósito, Yany Prado, Asier Etxeandia, Miguel Ángel Silvestre, Enric Auquer
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