Filme zu drehen während der Corona-Pandemie ist aus naheliegenden Gründen nicht ganz einfach. Da braucht es viele Tests und andere Hygienevorschriften, meist auch sehr kleine Teams, um das Risiko zu senken. Alternativ kann man auch gleich Lockdown-Geschichten erzählen, bei denen jeder in seiner eigenen Wohnung ist. Da kann nicht viel passieren. Oder man macht es wie Denis Côté. Der neueste Film des Kanadiers ist zwar keine direkte Antwort auf die äußeren Umstände. Und doch sieht Hygiène sociale, das auf der Berlinale 2021 Premiere hatte, wie die perfekte Corona-Produktion aus. Der komplette Film spielt im Freien, die Figuren stehen meist unbeweglich und mit großem Abstand zueinander. Gehandelt wird nicht, sondern nur gesprochen. Oder eben geschrien, der Abstand macht es notwendig.
Ein Film wie kein anderer
Während das Setup sehr klar ist, ist das mit dem Inhalt schon deutlich schwieriger. Das dürfte niemanden verwundern, der die Filme von Denis Côté kennt. Ghost Town Anthology war beispielsweise ein rätselhaftes und melancholisches Fantasydrama um Menschen und Erscheinungen. A Skin So Soft wiederum näherte sich Bodybuildern und anderen Sportmenschen an, in einer Mischung aus unmittelbarer Dokumentation und wortloser Videokunst. Bei Social Hygiene darf man sich ebenfalls im Anschluss fragen, was genau das alles sollte. Antworten werden einem hier nicht geschenkt, die müssen schon selbst irgendwie erarbeitet, zumindest aber erraten werden.
Während eine gewisse Unzugänglichkeit daher im Vorfeld durchaus zu erwarten war, ist das Genre doch eher unerwartet: Côté, sonst eher den düsteren Stoffen zugewandt, drehte hier eine Komödie. Eine Komödie jedoch, das dürfte jedem klar sein, die sich nicht wirklich um die üblichen Charakteristika schert. Gags in dem Sinne gibt es dabei keine. Die Komik entsteht eher auf anderem Wege. Ein Teil davon ist in der besagten Umsetzung begründet. Wenn die Leute wie festgewurzelt und zugleich verloren auf irgendwelchen grünen Wiesen stehen, dann ist das schon ein irgendwie lustiger Anblick. Social Hygiene hat etwas von der Künstlichkeit eines Theaterstücks, kombiniert aber mit einem Natursetting. Sieht man auch nicht alle Tage.
Viel Streit um nichts
Ein bisschen erinnert das an den französischen Kollegen Bruno Dumont, der in Jeannette – Die Kindheit der Jeanne d’Arc ebenfalls starre Außenaufnahmen mit ausgiebigen Diskussionen verband – und der einen oder anderen headbangenden Nonne. Musik gibt es in Social Hygiene keine, an Themen mangelt es dafür nicht. Es geht sogar ebenfalls des Öfteren um Geschlechterfragen, wenn wir dem Dandy Antonin (Maxim Gaudette) lauschen, der sich nach und nach mit insgesamt fünf Frauen zofft. Mal ist es die Schwester, mal die Frau, dann wieder eine Geliebte. Sie alle haben etwas an dem Mann auszusetzen, der nichts in seinem Leben auf die Reihe bekommt, von seinen gelegentlichen Diebstählen vielleicht einmal abgesehen.
Vorbilder sehen anders aus. Sympathieträger aber auch. Weder die Dauerzielschiebe noch die fünf Frauen an seiner Seite laden wirklich dazu ein, ihnen länger zuhören zu wollen. Vielmehr sind sie so anstrengend und unsympathisch, dass selbst 75 Minuten – länger ist der Film nicht – sich endlos anfühlen. Natürlich muss man Figuren nicht zwangsweise mögen, um an ihren Geschichten Spaß haben zu können. Bei Social Hygiene sollte man einen solchen Spaßfaktor aber nicht erwarten. Es ist nicht einmal so, dass diese Streitgespräche inhaltlich so wahnsinnig interessant wären, wenn sie schon nicht unterhaltsam sind. Die Themen an sich geben dabei schon einiges her in der Theorie, von besagten Geschlechterrollen über zu erfüllende Erwartungen, gesellschaftliche Strukturen und unsere Abhängigkeiten voneinander. In der Praxis wird daraus aber nie mehr als eine Spielerei, die sich an sich selbst ergötzt und dabei zu wenig zu sagen hat.
OT: „Hygiène sociale“
Land: Kanada
Jahr: 2021
Regie: Denis Côté
Drehbuch: Denis Côté
Kamera: François Messier-Rheault
Besetzung: Maxim Gaudette, Larissa Corriveau, Eleonore Loiselle, Eve Duranceau, Kathleen Fortin, Evelyne Rompré
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