Im Jahr 1609 werden Ana (Amaia Aberasturi) und einige andere Mädchen aus dem baskischen Dorf der Hexerei beschuldigt. Dabei spielt es keine Rolle, was sie in Reaktion auf den Vorwurf tun oder sagen, der ermittelnde Richter Rostegui (Alex Brendemühl) ist von ihrer Schuld überzeugt. Er will nur schnell ein Geständnis aus ihnen herauspressen und danach gleich weiter. Schließlich ist das ganze Land von Aberglauben verpestet, er selbst hat sich der Reinigung verschrieben. Als Ana merkt, dass sie mit Argumenten und normalen Gesprächen keine Chance hat, beschließt sie, eine andere Strategie zu verfolgen. Anstatt alles zu leugnen, bezeichnet sie sich nun selbst als Hexe, die einiges über die Rituale zu erzählen weiß. Entgegen der Ratschläge der anderen Männer lässt sich Rostegui darauf ein, fasziniert von dem, was die reizende junge Frau da zu erzählen hat …
Hexen auf allen Kanälen
In den letzten zwei Jahren hat es eine auffallend hohe Zahl an Filmen und Serien gegeben, die sich des Thema der Hexenverfolgung oder allgemein dem von Hexen annehmen. Erstere liegt inzwischen zwar schon ein paar Jahrhunderte zurück, weshalb die Geschichten meist in einem historischen Kontext erzählt werden. Bezüge zur Gegenwart gibt es aber durchaus. So verfolgen diese Werke meistens einen feministischen Ansatz. Im Fall von Gretel & Hänsel geschah dies im Rahmen eines Coming-of-Age-Dramas. The Cleansing – Die Säuberung oder Luna Nera wiederum nutzten das Thema, um ganz allgemein ein Patriachat anzuklagen. Eine Gesellschaft, in der Frauen systematisch unterdrückt werden. Parallelen zu heute sind dabei nicht zufällig, sondern gezielt gesucht.
Das gilt auch für den spanischen Film Tanz der Unschuldigen, der letztes Jahr in der Heimat in den Kinos lief und über Netflix nun zu uns kommt. Anders als die obigen Titel, welche trotz aller Gesellschaftskritik im Genreumfeld angesiedelt waren, handelt es sich hier um ein reines Drama. Da wird nicht gezaubert. Es gibt keine großen Verfolgungsjagden oder andere Aktivitäten, welche für Spannung sorgen sollen. Es ist nicht einmal so, dass es beim Setting sonderlich viel Abwechslung gibt. Nahezu der gesamte Film spielt entweder in einem Stall, in den die Mädchen eingesperrt sind, oder in einem der diversen Verhörzimmer, in denen sie durch die Mangel genommen werden.
Wenig Handlung, viele Dialoge
Die Handlung bleibt dabei naturgemäß überschaubar. Es kommt nicht einmal zu irgendwelchen Exploitation-Folterszenen, die bei einem solchen Titel immer zu befürchten sind. Stattdessen wird geredet, wieder und wieder. Dennoch findet Tanz der Unschuldigen regelmäßig einen Weg, das Nervenkostüm des Publikums in Anspruch zu nehmen. Zunächst einmal geschieht dies durch die absurden Verhöre, bei denen jedes einzelne Wort im Mund umgedreht wird. Unter dem Deckmantel der Rationalität wird jede Argumentation ins Gegenteil verkehrt. Um eine Auseinandersetzung geht es in den Gesprächen nicht. Vielmehr lauern die Männer auf eine Gelegenheit, die Mädchen zu überführen, sei es durch Einschüchterung oder Suggestion. Während bei Letzteren Verzweiflung und Verwirrung zunehmen, dürfte bei den meisten im Publikum an diesen Stellen die Wut überwiegen.
Dies ist alles zwar nicht wirklich überraschend, dafür aber gut umgesetzt. Alex Brendemühl (Die Stille des Todes) und seinen anderen männlichen Kollegen gelingt es eindrucksvoll, die Widerwärtigkeit ihrer Figuren zum Ausdruck zu bringen. Tatsächlich interessant wird es aber in der zweiten Hälfte, wenn Regisseur und Co-Autor Pablo Agüero den Gegenangriff einleitet. Im Wissen darum, dass sie ohnehin keinen fairen Prozess erwarten dürfen und jegliches Abstreiten als Schuldbekenntnis interpretiert wird, nutzt Ana die Neugierde des Richters aus. So lange sie ihm neue Geschichten zu erzählen hat, sind sie sicher, ein bisschen wie Scheherazade in Tausendundeiner Nacht. Zu groß ist die Faszination des Mannes für das, was er anderen tagtäglich vorwirft, letztendlich aber nicht kennt.
Starke Schauspielleistung
Das ist gerade auch für Amaia Aberasturi sehenswert, die trotz einer bislang überschaubaren Filmografie hierfür eine Nominierung als beste Hauptdarstellerin bei den Goya Awards erhalten hat – eine von insgesamt neun Nominierungen beim wichtigsten Filmpreis Spaniens. Sie beherrscht das diffizile Spiel, verführerisch genug zu sein, um weitermachen zu können, ohne dabei wieder eine Grenze zu überschreiten. Über das Ende kann man sich dabei streiten. Da werden manche vielleicht mehr erwartet haben. Insgesamt ist Tanz der Unschuldigen aber doch ein gelungenes Historiendrama, das schauspielerisch und atmosphärisch überzeugt. Schön ist zudem, wie hier auch auf den Sonderstatus des Baskenlandes eingegangen wird. So spricht die einheimische Bevölkerung selbst in der deutsch synchronisierten Fassung eine eigene Sprache, was das Gefühl noch verstärkt, von einem außenstehenden System unterdrückt zu werden.
OT: „Akelarre“
IT: „Coven“
Land: Spanien, Argentinien, Frankreich
Jahr: 2020
Regie: Pablo Agüero
Drehbuch: Pablo Agüero, Katell Guillou
Musik: Maite Arrotajauregi, Aránzazu Calleja
Kamera: Javier Agirre
Besetzung: Amaia Aberasturi, Alex Brendemühl, Daniel Fanego, Garazi Urkola, Yune Nogueiras, Jone Laspiur, Irati Saez de Urabain, Lorea Ibarra, Asier Oruesagasti
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
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Goya Awards | 2021 | Beste Hauptdarstellerin | Amaia Aberasturi | Nominierung |
Beste Musik | Aránzazu Calleja, Maite Arrotajauregi | Sieg | ||
Beste Kamera | Javier Agirre | Nominierung | ||
Bestes Szenenbild | Mikel Serrano | Sieg | ||
Beste Produktion | Guadalupe Balaguer Trelles | Nominierung | ||
Beste Kostüme | Nerea Torrijos | Sieg | ||
Bestes Make-up und Haare | Beata Wojtowicz, Ricardo Molina | Sieg | ||
Beste Spezialeffekte | Mariano García, Ana Rubio | Sieg | ||
Bester Ton | Urko Garai, Josefina Rodríguez, Frédéric Hamelin, Leandro de Loredo | Nominierung |
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