Als die Polizei eintrifft und die brennende Wohnung betritt, kommt für ihn jede Hilfe zu spät. Dafür können sie die 17-jährige Rebecca (Gro Swantje Kohlhof) retten – in mehr als einer Hinsicht. Tatsächlich stellt sich bald heraus, dass es sich bei ihr um ein Entführungsopfer handelt. Jahrelang hat der Verstorbene sie in seinem Keller gefangen gehalten, regelmäßig missbraucht und zugleich einer Gehirnwäsche unterzogen, in deren Folge sie ihn als ihren Meister ansah. Anderen gegenüber ist sie hingegen sehr misstrauisch. Sowohl die Psychologin Dr. Schattenberg (Imogen Kogge) wie auch die Ermittlerin Klara Blum (Eva Mattes) scheitern bei dem Versuch, an sie heranzukommen. Erst bei Blums Kollegen Kai Perlmann (Sebastian Bezzel) gelingt dies, weil sie ihn als ihren neuen Meister ansieht. Eine Rolle, die nicht nur ihm Schwierigkeiten bereitet …
Ruhige Spannung
Sollen sich doch andere wilde Verfolgungsjagden liefern oder hektisch in der Gegend herumballern, bei den Konstanzer Ausgaben vom Tatort ließ man es lieber etwas gemütlicher angehen. Das empfanden die einen als schön beruhigend, die anderen eher als langweilig und phlegmatisch. Dass man sehr wohl mit einer sehr eingeschränkten Handlung Spannung erzeugen kann, das bewies dabei Rebecca Anfang 2016. Passieren tut in der 971. Folge der ARD-Krimireihe nicht sehr viel. Da ist der feurige Einstieg, wenn wir die Titelfigur sehen, die sich über den brennenden Körper beugt, schon der Höhepunkt des ganzen Films. Und doch gibt es hier gleich mehrere gute Gründe dranzubleiben.
Zum einen behalf sich Drehbuchautor Marco Wiersch eines kleinen Kniffes. Anstatt es bei der Eins-zu-eins-Entführung zu belassen, welche nicht mehr viel Stoff für kriminologische Fragestellungen gegeben hätte – das Opfer ist frei, der Täter tot –, öffnet er einfach noch weitere Fronten. So gibt es in Tatort: Rebecca nicht nur die Möglichkeit weiterer Täter, sondern auch weiterer Opfer. Das wiederum bringt eine ganz andere Dringlichkeit mit sich. In Ruhe alles aufarbeiten, was zuvor geschehen ist, ist dadurch nicht so einfach. Nicht wenn es ein zweites Verbrechen aufzuklären gilt, eventuell auch eines zu verhindern.
Die Frage nach dem richtigen Weg
Das bringt diverse moralische Zwickmühlen mit sich, wie man sie aus solchen Entführungsthrillern zur Genüge kennt. Das geht dann zwar alles nicht so weit wie etwa in Prisoners oder Ferdinand von Schirach: Feinde. Die Polizei überschreitet in Tatort: Rebecca nie legale Grenzen, ganz so weit wollte man sich in Konstanz dann doch nicht aus dem Fenster lehnen. Aber selbst ein paar Stufen darunter kann man sich gut und gerne den Kopf zerbrechen, was angemessen ist und was nicht. Gerade die Abwägung vom Leid der einen Figur und dem einer anderen ist ausgesprochen schwierig. Zumindest implizit wird das Publikum dazu aufgefordert, sich Gedanken zu machen und Stellung zu beziehen. Wie sollte man sich in einer solchen Situation verhalten? Wie würde ich es selbst tun?
Doch so spannend das in einzelnen Situationen auch sein mag, es bleibt eine recht offensichtliche Erweiterung zur Hauptgeschichte. Ein kleines Extra, mehr nicht. Der stärkere Part ist der, der sich um die Titelfigur dreht. Um ihr Verhältnis zu ihrem Entführer, zu ihrem neuen Meister. Darum, wie sie nach und nach die Welt entdeckt und erkennen muss, dass sie systematisch belogen wurde. Tatort: Rebecca wird dabei zu einer Bühne der inzwischen genreerfahrenen Gro Swantje Kohlhof (Schlaf, Endzeit), die als traumatisiertes Entführungsopfer ihr Talent ausspielen darf. Immer wieder verschiebt sich der Krimi dadurch in Richtung Drama. Er zeigt auf, wie durch Manipulation und Druck ein Mensch auf erschreckende Weise gebrochen werden kann. Dass dabei manches Klischee ausgegraben wird und die Ermittlungen etwas willkürlich verlaufen, ist deshalb kein Problem. Der Film bleibt wegen der intensiven Momente in Erinnerung, nicht wegen dem Drumherum.
OT: „Tatort: Rebecca“
Land: Deutschland
Jahr: 2016
Regie: Umut Dağ
Drehbuch: Marco Wiersch
Musik: Iva Zabkar
Kamera: Stefan Sommer
Besetzung: Eva Mattes, Sebastian Bezzel, Gro Swantje Kohlhof, Imogen Kogge, Klaus Manchen, Sandra Borgmann
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