Im Sommer 1998 steht die Karriere von Dom Chabol (Louis Talpe) eigentlich schon vor dem Aus. Viele Jahre hat er als Begleitfahrer sein Team bei der Tour de France unterstützt. Jetzt mit Ende 30 soll das nun vorbei sein. So hieß es zumindest. Als einer seiner Kollegen aber aufgrund eines Dopingvergehens gestrichen werden muss, darf er kurzfristig wieder einspringen. Für Dom ist klar, dass dies seine letzte Chance sein wird. Und so ist er bereit, alles zu investieren und setzt dabei sogar seine eigene Gesundheit aufs Spiel. Lynn (Tara Lee), eine junge irische Ärztin, mit der er anbändelt, ist jedoch so gar nicht glücklich darüber, was die Mannschaft da alles tut – vor allem im Zusammenhang mit verbotenen Mitteln …
Ein Wettstreit der Betrüger
Dass beim professionellen Sport schon mal unerlaubte Substanzen zum Einsatz kommen, um die Leistung zu steigern, ist kein besonders neues Phänomen. Kaum eine Sportart, bei der nicht zumindest gemunkelt wird, dass da jemand nachhilft. Doch keine Sportart dürfte in der allgemeinen Wahrnehmung stärker mit dem Doping in Verbindung gebracht werden als der des Radrennens. In den 1990ern kamen mehrfach Geschichten auf, dass bei der Tour de France irgendwelche Mittel eingenommen werden. Doch erst 1998 platzte die Bombe, als endgültig klar wurde, welche Ausmaße dieses Doping annimmt. Die Gründung der Welt-Anti-Doping-Agentur im Jahr 1999 ging auch maßgeblich auf diesen Skandal zurück.
Wenn uns The Racer mitnimmt in den Sommer 1998, an den Anfang der damaligen Tour de France, dürfen zumindest auf diesem Feld Bewanderte schon eine Vorstellung davon haben, was einen inhaltlich erwartet. Doch das stimmt nur zum Teil. Anders als etwa The Program – Um jeden Preis, welches den Dopingskandal von Lance Armstrong in den Mittelpunkt rückte, geht es Regisseur und Co-Autor Kieron J. Walsh hier um etwas anderes. Er zeichnet in seinem Drama das Porträt des Sportes an sich, der Menschen, die dort mitwirken. Und er zeigt das System, das sich im Laufe der Zeit verfestigt hat und an das sich alle halten müssen, wollen sie Teil des Spiels sein. Hier wird nicht gedopt, um besser zu sein. Stattdessen geht es darum, nicht schlechter zu sein. Wenn alle betrügen, muss ich das schließlich auch tun, damit ich eine faire Chance bekomme.
Eine moralische Ambivalenz
The Racer will dieses Verhalten dann auch moralisch gar nicht wirklich beurteilen. Stattdessen wird dieses Zeit- und Systemporträt mit der sehr persönlichen Geschichte eines Einzelsportlers verbunden. Eine Geschichte, die gleichzeitig sehr universell ist. Das Motiv des Sportlers, der in die Jahre gekommen ist und es noch einmal allen zeigen will, das wird immer wieder gern herausgekramt. Bei Dom ist das – trotz der offensichtlichen Gemeinsamkeiten – ein wenig anders, da er im Grunde kein Kämpfer ist, sondern sich immer damit begnügt hat, sein Team zu unterstützen. Dass er sich zum Ende seiner Karriere danach sehnt, doch einmal selbst etwas zu erreichen, bevor es zu spät ist, macht aus ihm kein Alphamännchen, wie man es in diesem Bereich oft zu sehen bekommt. Es macht ihn dafür umso menschlicher.
Das wiederum trägt dazu bei, dass The Racer ein sehr ambivalenter Film. Sollte man Dom die Erfüllung seines Lebenstraumes wünschen, auch auf die Gefahr hin, dass er dabei alles verliert? Sollte er lieber das kleine Glück mit Lynn wählen, in dem Bewusstsein, nie wirklich etwas erreicht zu haben? Auch die Einordnung, wie man seine Dopingaktivitäten zu beurteilen hat, ist alles andere als einfach. Der Film verzichtet auf die üblichen Schurken und Buhmänner, verzichtet aber auch auf eindeutige Helden. Stattdessen machen sie alle irgendwie weiter, radeln ihren Träumen hinterher, selbst wenn diese sich nicht unbedingt erfüllen. Das hier ist dann eben doch kein von Pathos getragenes Wohlfühldrama, das einem Publikum weismachen will, man könne alles schaffen, solange man nur fest an sich glaubt.
In der Ruhe liegt die Kraft
Tatsächlich ist The Racer ein überraschend ruhiger Film. Zwischendurch kommt es zwar schon mal zu dramatischen Zuspitzungen, sei es auf oder abseits der Straße. Man sollte sich das hier aber nicht anschauen in der Erwartung, kontinuierliche Hochspannung geboten zu bekommen. Langweilig ist das Ergebnis dennoch nicht, allein schon wegen der Darstellung des belgischen Schauspielers Louis Talpe, die zwischen kraftvoll und zerbrechlich wechselt. Sein Dom ist trotz seiner Fehler ein sympathischer Mensch, dem man die Daumen drücken möchte, dabei aber nicht so recht weiß wofür. So wie man am Ende der Geschichte allgemein nicht sagen kann, was nun richtig war und was nicht.
OT: „The Racer“
Land: Irland, Luxemburg, Belgien
Jahr: 2020
Regie: Kieron J. Walsh
Drehbuch: Ciaran Cassidy, Kieron J. Walsh
Musik: Hannes De Maeyer
Kamera: James Mathe
Besetzung: Louis Talpe, Matteo Simoni, Tara Lee, Iain Glen, Karel Roden
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