Nach einer globalen Katastrophe ist die Erde zu großen Teilen unbewohnbar geworden. Und doch ist sie die letzte Rettung für die Menschen, die in einer Weltraumkolonie leben und in Folge ihres Lebens im All die Fähigkeit zur Fortpflanzung verloren haben. Als aus diesem Grund eine Mission zur Erde geschickt wird, um die aktuellen Lebensbedingungen dort zu erkunden, kommt es jedoch zu einem Unglück und die Kapsel stürzt ab. Ein Großteil der Crew ist sofort tot, am Ende bleibt nur Louise Blake (Nora Arnezeder) übrig. Doch die Aussichten sind auch für sie nicht gut. Die Erde steht weitestgehend unter Wasser, es gibt kaum Überlebensmöglichkeiten. Und dann fällt sie auch noch in die Hände einer der wenigen überlebenden Clans …
Der schwierige Weg zu fernen Welten
Das Genrekino hat in Deutschland bekanntlich einen schweren Stand. Während es Krimis ohne Ende gibt, sieht es bei Thrillern schon schwieriger aus. Horrorfilm sind noch mal seltener, Werke wie Heilstätten oder die Anthologie German Angst sind ziemliche Ausnahmen. Ganz besonders bescheiden ist aber die Versorgung mit Science-Fiction-Stoffen. Das ist natürlich verständlich, kein Genre verlangt inzwischen größere Budgets und damit Summen, die hierzulande keiner auffahren kann. Die Erwartungen gehen bei diesen Filmen dann doch, beeinflusst von den Hollywood-Trends, zu Effektspektakeln, die alles andere überlagern.
Doch es geht auch anders, wie die deutsch-schweizerische Produktion Tides beweist. Hier gibt es keine Weltraumschlachten, gigantische Raumschiffe oder sonstige gern verwendete Merkmale futuristischer Geschichten wie etwa Hologramme oder Laserwaffen. Tatsächlich sind die Szenerien der Erde von Ruinen geprägt. Von Erinnerungen an eine Zeit, als wir uns noch als die Herrscher über alles fühlten. Der Film steht damit durchaus in der Tradition anderer Endzeitfilme, die vor apokalyptischen Zuständen warnen. Während aber in Mad Max und Konsorten oft von einem Wassermangel die Rede ist, da gibt es hier – der Titel verrät es bereits – einen Überschuss davon. Nur in den Zeiten der Ebbe trauen sich die Menschen noch aus ihren Bunkern, um nach Nahrung oder anderen Schätzen zu suchen.
Bilder, die man gesehen haben muss
Die Aussichten für die Menschheit sind also trübe, die Bilder dafür umso besser. Tatsächlich ist Tides nicht nur ein Argument dafür, dass hiesige Filmschaffende sehr wohl in der Lage sind, dem Genre gerecht zu werden. Sie liefern auch Gründe dafür, auf ein Überleben der Kinolandschaft zu hoffen. Die entsättigten Farben irgendwo im Grenzbereich von Blau, Grau und Braun erzeugen eine packende Atmosphäre, die gleichermaßen düster wie melancholisch ist. Die Figuren in dem Film, sie sind nicht nur auf der Suche nach einer Gegenwart und Zukunft. Sie sind auch und gerade auf der Suche nach ihrer Vergangenheit. Das ist bei Louise natürlich besonders ausgeprägt, deren Vater seinerzeit in einer ersten Mission zur Erde reiste und spurlos verschwand.
Aber auch sonst ist das von Regisseur Tim Fehlbaum (Hell) und seiner Co-Autorin Mariko Minoguchi (Mein Ende. Dein Anfang.) ein Film, der sehr von der Sehnsucht bestimmt ist. Von Geschichten einer Welt, die es einmal gab. Solche ruhigen Passagen wechseln sich dabei aber durchaus mit actionreichen ab. Gerade zu Beginn überwiegt sogar der Thrillerteil, wenn nahezu jede Begegnung mit Überlebenden die letzte sein kann. Wie es in der Apokalypse nun einmal üblich ist: Am Ende ist sich jeder selbst der nächste. Da wird aufeinander eingeprügelt, teils aus reinem Überlebenswillen, teils weil die bitteren Umstände die Leute hat verrohen lassen. Immer wieder wird der Mensch in Tides zu einem wilden Tier reduziert, das nur noch Instinkten und dem eigenen Nutzen folgt. Es ist also nicht nur die Welt an sich, die wenig Hoffnung macht. Die Menschen tragen selbst kräftig dazu bei.
Unterhaltsam und überwältigend
Das ist natürlich alles nichts Neues. Der Film, der auf der Berlinale 2021 Weltpremiere feierte, mag ein bisschen am Szenario schrauben und die Farben ausgetauscht haben, die Geschichte selbst ist jedoch sehr klassisch. Aber sie ist gut erzählt. An der einen oder anderen Stelle wäre mehr Tiefgang sicherlich wünschenswert gewesen. Die Wendungen, die im weiteren Verlauf kommen, bringen zudem nicht die beabsichtigte Überraschung. Insgesamt überwiegt aber bei Tides der Unterhaltungsfaktor und die Faszination für eine Welt, die gleichzeitig bekannt und doch fremd ist. Durch die häufig wechselnden Standorte, gerade in der ersten Hälfte, verbunden mit immer neuen Figuren, wird man hier früh eingebunden und darf sich ein wenig überwältigen lassen von den Bilderfluten, die über einen hinwegfegen.
OT: „Tides“
Land: Deutschland, Schweiz
Jahr: 2021
Regie: Tim Fehlbaum
Drehbuch: Tim Fehlbaum, Mariko Minoguchi
Musik: Lorenz Dangel
Kamera: Markus Förderer
Besetzung: Nora Arnezeder, Iain Glen, Sarah-Sofie Boussnina, Sope Dirisu, Sebastian Roché, Joel Basman, Kotti Yun, Bella Bading, Chloé Heinrich, Eden Gough
Was brachte ihn auf die Idee zu Tides? Und worin lagen die Herausforderungen bei der Umsetzung? Diese und weitere Fragen haben wir Regisseur und Co-Autor Tim Fehlbaum in unserem Interview zum Endzeit-Thriller gestellt.
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