Für Anke (Anke Bak) geht ein Abschnitt im Leben zu Ende, als sie ihren letzten Arbeitstag im Pfarramt einer Kirche hat. Und eigentlich wollte sie das mit ihrer Familie und bei einem kleinen Urlaub an der Ostsee feiern, wo sie früher gelebt haben. Das klappt jedoch nur zum Teil. Denn während die meisten tatsächlich angereist sind und gemeinsam in Erinnerungen schwelgen, ist Sohn Max nach wie vor in Hongkong. Eigentlich hatte er selbst kommen wollen, doch die andauernden Proteste in der Millionenstadt haben seine Pläne durcheinander gebracht. Und so beschließt Anke, die weite Reise anzutreten und ihren Sohn zu besuchen …
Überall (nicht) zu Hause
Dass die Menschen von der Geburt an bis zu ihrem Tod am selben Ort bleiben, das ist heute eine Seltenheit geworden. Flexibilität und Mobilität sind gefragt, wer es beruflich zu etwas bringen will. Aber auch das Gefühl, sich persönlich besser ausdrücken oder finden zu können, veranlasst viele dazu, das Weite zu suchen, in einer anderen Stadt, einem anderen Land oder einem anderen Kontinent etwas Neues und Eigenes zu machen. So auch Jonas Bak, der in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, den es anschließend nach Edinburgh, dann London und schließlich Hongkong verschlug, wo er als Filmemacher und Kameramann tätig war.
Wenn sein erster Spielfilm Wood and Water nun ausgerechnet in der hart umkämpften chinesischen Sonderzone spielt, dann ist das natürlich kein Zufall. Allgemein hat man hier das Gefühl, dass Bak sehr viele Beobachtungen und Themen aus seinem eigenen Leben einbringt. Wenn auch noch die Rolle der Mutter des ausgewanderten Sohnes von seiner eigenen Mutter Anke Bak gespielt wird, dann verschwimmen endgültig die Grenzen zwischen dem Dokumentarischen und dem Fiktionalen. Der Verzicht auf ein professionelles Ensemble wird dabei zu Beginn leider zu einem Manko. Den Szenen innerhalb der Familie mangelt es trotz einer naturalistischen Sprache an Natürlichkeit, was zu unangenehmen Irritationen führt.
Neue Perspektiven im Alter
Deutlich besser wird es, sobald die Protagonistin die weite Reise antritt, was zu einer Horizonterweiterung führt. Anke, die mit dem Ruhestand eigentlich die letzte Phase ihres Lebens einläutet, entdeckt dabei, dass dieses deutlich mehr zu bieten hat. Filme mit ähnlichen Aussagen hat es zuletzt natürlich jede Menge gegeben. Ob nun Tanz ins Leben, Happy Ending – 70 ist das neue 70 oder Britt-Marie war hier, sie alle erzählen davon wie Figuren im fortgeschrittenen Alter neue Erfahrungen machen und sich dabei selbst noch einmal von einer neuen Seite kennenlernen. So auch in Wood and Water, das sich anfangs um die Suche nach dem Sohn dreht, dabei jedoch langsam den Fokus verschiebt.
Wobei es den einen Fokus ohnehin nicht gibt. Der Film, welcher in der Perspektive Deutsches Kino der Berlinale 2021 Premiere feierte, kombiniert ein persönliches Drama mit einem impressionistischen Reisebericht. Geradezu schwelgerisch sind die Aufnahmen der Metropole, wenn wir durch die Stadt streifen, Eindrücke gewinnen von der geballten Wut, welche die Demonstrierenden auf die Straße treibt. Ein politischer Film ist Wood and Water dabei jedoch nicht. Anke sieht den Ereignissen zu, bezieht aber keine Position. Ihr Ziel, bzw. das von Jonas Bak, sind die kleineren Geschichten drumherum. Mal sind wir bei einer entspannenden Tai-Chi-Übung dabei, gehen zum Essen mit dem Hausmeister aus oder entdecken dank eines Wahrsagers die Spiritualität.
Das ruhige Treiben nach Nirgendwo
Das hört sich ein wenig ziellos an. Tatsächlich ist Wood and Water kein Film, der ein klares Ziel formuliert oder definitive Aussagen trifft. Wer solche braucht oder etwas, das man ruhigen Gewissens als Handlung bezeichnen würde, der wird sich hier bald ähnlich verloren fühlen wie die Protagonistin. Stattdessen gibt sich Bak ganz der verträumten Atmosphäre hin, angetrieben von einer Faszination für die Welt, die sich einem bietet. Diese sollte man schon teilen, um dieser sehr ruhigen Entdeckungsreise etwas abgewinnen zu können. Und Geduld braucht es natürlich auch, das Tempo ist bei dem episodenhaften Film schon recht niedrig. Tatsächlich neue Erkenntnisse springen eher weniger dabei raus, dafür geht das nicht genug in die Tiefe und bleibt zu wenig konkret. Aber es ist schon irgendwie schön, sich hier eine Weile treiben zu lassen und in dem Meer von Momentaufnahmen sehenswerte Perspektiven zu bewundern.
OT: „Wood and Water“
Land: Deutschland, Frankreich
Jahr: 2021
Regie: Jonas Bak
Drehbuch: Jonas Bak
Musik: Brian Eno
Kamera: Alex Grigoras
Besetzung: Anke Bak, Ricky Yeung, Alexandra Batten, Patrick Lo, Theresa Bak, Susanne Johnssen, Lena Ackermann, Christel Johnssen, Patrick Shum, Edward Chan
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