Inmitten einer Waffenruhe während des Libanonkrieges 2006 beschließen Marwan (Karam Ghossein) und seine Frau Rana (Flavia Juska Bechara), das Land zu verlassen und ihr Leben in Beirut hinter sich zu lassen. Während Rana in der Stadt bleibt, sich um das Gepäck, die Flugtickets und die Pässe kümmert, fährt ihr Mann zurück in sein Heimatdorf, welches im Süden des Landes liegt, um nach seinem Vater zu sehen, von dem er seit Beginn des Konflikts zwischen Israel und der Hisbollah nichts mehr gehört hat. Auf dem Weg dorthin sieht er mit eigenen Augen, wie die Luftanschläge und Gefechte die Infrastruktur des Landes lahmgelegt und zerstört haben, sodass er sich nicht wundert, als er seine Heimat ebenfalls in einem verwüsteten Zustand vorfindet. Das Haus seines Vaters ist eine einzige Ruine, ein großer Teil nur noch ein Geröllhaufen, doch von den Einwohnern fehlt jede Spur. Gerade, als sich Marwan wieder auf den Heimweg machen will, begegnet er zwei alten Männern (Boutros Rouhana und Adel Chahine), Bekannte seines Vaters, die ihm erzählen, er wäre mit ein paar anderen Bewohnern des Dorfes geflohen.
Eine Nachverfolgung der Spur seines Vaters wie auch der Weg zurück nach Beirut sind Marwan jedoch versperrt, denn vor seinen Augen wird ihm sein Auto gestohlen. In dem kleinen Haus am Rand des Dorfes, in welches die beiden Männern nach Ausbruch des Krieges geflohen sind, findet Marwan Unterschlupf, zusammen mit ein paar anderen Einwohnern, die sich dort nach und nach einfinden. Allerdings ist die Waffenruhe nicht von Dauer und dem jungen Mann läuft die Zeit davon, doch als wäre dies nicht schon schlimm genug, beziehen zwei israelische Soldaten, ohne zu wissen, dass das Haus noch bewohnt ist, auf dessen Dach Stellung, was sie, wie auch Marwan und die anderen Bewohnern zur Zielscheibe für den Feind macht.
Die letzte Zuflucht
In seinem Spielfilmdebüt als Regisseur erzählt Regisseur Ahmad Ghossein eine Geschichte, die während des Libanonkrieges 2006 spielte, der 34 Tage dauerte und alleine im Libanon 1300 Menschen das Leben kostete und zahlreiche Schäden innerhalb der Infrastruktur des Landes hinterließ. Ghosseins Kammerspiel brachte ihm zwei Auszeichnungen auf den Filmfestspielen in Venedig 2019 ein und generell sehr positives Kritikerecho. Der Krieg, so scheint es in All this Victory, macht zwar eine vorübergehende Pause, aber die physischen wie auch emotionalen Schäden sind bereits so tiefgehend, dass man eigentlich nur auf den Moment wartet, in dem die Bomben und die Schüsse wieder fallen.
Nur ein vergleichsweise kleiner Teil von Ghosseins Film spielt sich in dem Dorf, auf den Straßen dorthin und in Beirut ab, während sich die eigentliche Handlung vor allem in dem Haus abspielt, welches Marwan und den anderen Überlebenden als letzte Zuflucht dient. Von der ersten Einstellung dieses Ortes an überträgt sich die Ausweglosigkeit vor dem Konflikt und die Anspannung der Charaktere auf den Zuschauer, was Ghosseins Inszenierung immer mehr intensiviert. Shadi Chaabans Kameraarbeit wie auch Yannis Chalkiadakis Montage unterstreichen den Eindruck eines vermeintlich sicheren Ortes, der zu einer Falle für die Figuren wird, aus der sie zu entkommen versuchen, immer abwägend, welches Risiko wohl das größere ist: die Schüsse von draußen oder die Soldaten auf dem Dach, welche sie vielleicht für Feinde halten.
Das Kammerspiel entwickelt mit der Zeit eine drastische Dynamik. Die Charaktere, alle mit unterschiedlichen Motiven und Hintergründen, welche Ghossein immer wieder schlaglichtartig beleuchtet, fühlen sich zunehmend eingesperrt, prallen aneinander und es kommt zu Konflikten untereinander. In All this Victory wird die Verunsicherung wie auch das Trauma des Krieges nicht zur einer Metapher oder einer Dialogzeile, sondern vielmehr zu einer Erfahrung für den Zuschauer, der sich mit der Zeit wahrscheinlich ähnlich unwohl fühlt wie die Figuren, die panisch nach einem Ausweg aus dem Schussfeld suchen.
Die Nähe des Krieges
Interessant ist dabei, dass All this Victory zwar ein Film über den Krieg ist, dieser aber über weite Teile eher abwesend scheint. Schüsse, Bombeneinschläge oder Militärjets bilden die Geräuschkulisse, sind im Hintergrund zu hören, wie auch die Gespräche der israelischen Soldaten, aus deren Wortfetzen sich die Überlebenden ableiten, von wo die meiste Gefahr droht und wann eine Flucht vielleicht gelingen kann. Vielmehr beherrscht das angespannte Schweigen wie auch die Bilder von den Folgen des Konflikts die Geschichte und stellt eine Landschaft dar der Wunden, der Narben und der Traumata, ähnlich dem Weg Marwans durch die Ruinen seines Heimatdorfes.
OT: „Jeedar El Sot“
Land: Libanon, Frankreich
Jahr: 2019
Regie: Ahmad Ghossein
Drehbuch: Ahmad Ghossein, Abla Khoury, Syllas Tzoumerkas
Musik: Khyam Allami
Kamera: Shadi Chaaban
Besetzung: Karam Ghossein, Adel Chahine, Boutros Rouhana, Issam Bou Khaled, Sahar Minkara Karame, Flavia Juska Bechara
Venedig 2019
International Film Festival Rotterdam 2020
Arabisches Filmfestival Berlin 2021
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