Bagdad nach dem Sturm Baghdad Central
© Sife El Amine

Bagdad nach dem Sturm

Inhalt / Kritik

Bagdad nach dem Sturm Baghdad Central
„Bagdad nach dem Sturm“ // Deutschland-Start: 8. April 2021 (Arte)

Unter der Regierung Saddam Husseins war Muhsin al-Khafaji (Waleed Zuaiter) ein Inspektor bei der irakischen Polizei. Im Jahre 2003, nach dem Einmarsch US-amerikanischer Truppen ins Land, hat er nicht nur seine Stellung verloren, sondern muss fast täglich um das Überleben seiner Familie kämpfen. Während seine älteste Tochter Sawsan (Leem Lubany) bei seinem Schwager lebt und studiert, gilt Muhsins Aufmerksamkeit besonders der jüngsten Tochter Mrouj (July Namir), deren Gesundheitszustand sich Tag für Tag verschlechtert. Als dann aber Sawsan verschwindet, ahnt ihr Vater Schlimmes, werden doch immer wieder junge Mädchen im Irak entführt, und er muss seine alten Talente als Ermittler anwenden. Sein Weg führt ihn zu Professorin Zubeida Rashid (Clara Khoury), die seine Tochter zwar kennt, ihm aber nicht weiterhelfen kann. Jedoch wird auch die US-Armee auf den ehemaligen Inspektor aufmerksam, die ihn zunächst verhaften und verhören, wobei ihm der Brite Frank Temple (Bertie Carvel) schließlich einen Job anbietet. Muhsin soll im Gegenzug für die medizinische Behandlung seiner Tochter unter Temple arbeiten, was dieser sofort annimmt, da er sich davon auch verspricht, eine Spur zu seiner Tochter zu erhalten.

Bereits der erste Tatort stellt aber sowohl für Temples Einheit als auch Muhsin eine große Herausforderung dar, geht es doch nicht nur um die Ermordung eines irakischen Bürgers, sondern auch um die eines amerikanischen Soldaten. Da sein neuer Vorgesetzter eine ganz eigene Agenda zu verfolgen scheint, ermittelt Mushin auf eigene Faust, und bald auch schon mit der Hilfe Captain John Parodis (Corey Stoll), der schnelle Antworten auf die Ermordung des Soldaten erwartet. Allerdings führen die Ermittlungen den ehemaligen Inspektor in das Zentrum einer großen Verschwörung um Menschenhandel und Geldgeschäfte, doch auch hin zu einer Spur zu seiner Tochter, die sich möglicherweise einer Terrorzelle angeschlossen hat.

Ein schwieriger Übergang

Als im Jahre 2003 die US-Armee in den Irak einfiel und dessen Diktator Saddam Hussein stürzte, war dies für viele nicht nur der Beginn einer Hoffnung auf eine demokratische Zukunft, sondern auch der Beginn einer Phase der Neuorientierung, in der sich viele Menschen bereicherten und das politische Chaos ausnutzten. Professor Elliot Collas Roman Baghdad Central erzählt über diese Zeit, bedient sich des historischen Hintergrundes und nutzt die Form des Kriminalromans, um ein Bild des Irak in dieser Phase des Übergangs zu zeigen. Sein Buch bildet die Basis für die Serie Bagdad nach dem Sturm, die Anfang 2020 auf dem britischen Kanal Channel 4 ihre Premiere feuerte und im April 2021 im deutschen Fernsehen zu sehen sein wird.

Auch wenn sich die Geschichte von Bagdad nach dem Sturm wie ein Drama oder ein Kriegsfilm anhört, ist die Serie in erster Linie ein Thriller, ein „Neo-Noir“. Während in den ersten Minuten der ersten Episode noch jene Hoffnungen auf einen besseren Irak evoziert werden, hält schon bald die Ernüchterung Einzug, wenn man die unübersichtliche, chaotische Welt betrachtet, in der die Geschichte ihren Zuschauer einführt, der sich, ähnlich wie der von Waleed Zuaiter gespielte Zuaiter, erst einmal einen Überblick verschaffen muss. Immer wieder kommt die Geschichte zurück auf die Idee, sich einen Überblick verschaffen zu wollen, etwas zu ordnen und die Wahrheit zu finden. Doch ein wirkliches Ende hat diese Suche nicht, sodass ein Überblick vielleicht höchstens temporär stattfinden kann. Wie bei anderen Beiträgen zum Genre des Neo-Noir ist die Suche nach dem Täter schon recht bald abgeschlossen und vielleicht auch gar nicht so spannend, denn sehr viel interessanter (und gefährlicher) sind die Umstände, welche eine einfache Erklärung oder Wahrheit unmöglich machen.

Wie in vielen anderen Vertretern des Genres gibt es auch in Bagdad nach dem Sturm keine Helden. Auch wenn man über die einzelnen Figuren erst nach und nach Informationen zu deren Hintergrund wie auch ihren Motiven erhält, schleicht sich schon früh die Vorahnung ein, dass jede von ihnen eine Dunkelheit in sich trägt, eine Vergangenheit oder eine versteckte Agenda. Selbst Muhsin bietet sich nicht als Held an, ist er doch ein Charakter, der von seiner Vergangenheit immer mehr eingeholt wird. Waleed Zuaiter spielt sehr eindrucksvoll einen Menschen, für den die Ermittlung zweitrangig ist und der vor allem für das Überleben seiner Familie kämpft, der er Rechenschaft schuldig ist für ein Versagen, einen Moment der Schwäche, den er sich nicht verzeihen kann. Generell ist das Ensemble der Serie wirklich beachtlich, wobei vor allem Darsteller wie Bertie Carvel (Jonathan Strange & Mr. Norrell) oder Leem Lubany (Rock the Kasbah) zu nennen sind, deren Figuren sinnbildlich stehen für die möglichen Entwicklungen dieses Landes, für den Profit, den Terror wie auch einen Neuanfang und Kampf für den Frieden.

„Uns bleibt nur die Familie.“

Die Komplexität der Figuren, ihre guten Seiten wie auch ihre weniger heldenhaften Züge spiegeln sich in der Version Bagdads wider, welche die Serie zeigt. Abgeriegelte, von Bürgermilizen kontrollierte Straßen, militärische Checkpoints sowie dunkle, klaustrophobisch anmutenden Innenräume bestimmen die Ästhetik der sechs Episoden. Darüber hinaus machen die Ruinen von Statuen, die abgerissenen Plakate mit dem Konterfei Husseins sowie der Republikanische Palast, in welchem sich ein Großteil der Handlung abspielt, das schwierige Erbe der Vergangenheit deutlich, scheinen die Frage aufzuwerfen, wie man überhaupt diese Geschichte abwerfen und verarbeiten kann.

In dieser Welt der Intrigen und der Konflikte scheint nur noch das Private, die Familie Schutz zu liefern oder zumindest eine gewisse Sicherheit zu liefern. An diesen Stellen bekommt Stephen Butchards Drehbuch einen sehr hoffnungsvollen Ton, dass es doch noch etwas abseits der Dunkelheit gibt, für das es sich zu kämpfen lohnt.

Credits

OT: „Baghdad Central“
Land: UK
Jahr: 2020
Regie: Alice Troughton, Ben A. Williams
Drehbuch: Stephen Butchard
Vorlage: Elliot Colla
Musik: H. Scott Salinas
Kamera: Dale Elena McReady, Christophe Nuyens
Besetzung: Waleed Zuaiter, Bertie Carvel, Clara Khoury, Leem Lubany, Corey Stoll

Bilder

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„Bagdad nach dem Sturm“ ist eine spannende Thriller-Serie und erzählt von einer Mordermittlung vor dem Hintergrund des Iraks nach der Invasion der US-Armee. Neben dem historischen Kontext sind es vor allem die vielschichtigen Charaktere, welche die Faszination des Zuschauers aufrechterhalten, und eine Orientierung geben in der chaotischen, düsteren Welt der Serie.
8
von 10