Seit ihrer Kindheit spielt sich das Leben der jungen Lara (Hannah Rae) auf dem Besitz ihrer Familie ab. Da ihr Vater Arzt ist und die meiste Zeit über entweder mit seinen Patienten oder seinen Studien beschäftigt ist, obliegt die Erziehung des Mädchens Miss Fontaine (Jessica Raine) ihrer Gouvernante. Zwar kann sich Lara für Dinge wie Poesie und Nähen interessieren, aber eigentlich beschäftigen sie die Natur wie auch die wissenschaftlichen Bücher ihres Vaters mehr. Ihre Faszination für die menschliche Anatomie, vor allem aber den Tod und was dieser mit dem Körper macht, verwirren Fontaine und sie bestraft Lara, die sich immer mehr nach einem Menschen sehnt, der sie versteht und ihr zuhört.
Dieser Mensch tritt in ihr Leben mit Carmilla (Devrim Lingnau), einem Mädchen in Laras Alter, das in einen schrecklichen Unfall auf dem Grundstück der Familie verwickelt war und als einzige überlebt hat. Als Carmilla wieder bei Kräften zu sein scheint, freundet sie sich mit Lara an, die ganz fasziniert ist von diesem Mädchen, das sehr viel freier wirkt als sie und zudem noch ausgesprochen hübsch. Laras Vater und die Bediensteten versuchen derweil mehr über Carmilla herauszufinden, über den Unfall und ihre Herkunft, doch im Dorf kennt das Mädchen niemand und auch sonst scheint keiner etwas über sie zu wissen.
Der Teufel im eigenen Haus
Der Roman Carmilla des irischen Autors Sheridan Le Fanu aus dem Jahre 1871 gehört zu den bekanntesten Vampirgeschichten neben denen seines Landsmanns Bram Stoker. Seit ihrer Veröffentlichung wurde die Geschichte mehrmals adaptiert, für den Film, das Theater und gar als Oper, wobei naturgemäß immer unterschiedliche Schwerpunkte in der Inszenierung gesetzt wurden. Für ihre Verfilmung des Stoffes, welche 2020 im Rahmen des Edinburgh International Film Festival ihre Premiere feierte, ging es der britischen Regisseurin Emily Harris darum zu zeigen, wie Menschen andere dämonisieren aufgrund vorschneller Urteile und sie verzichtete auf einen Großteil der übernatürlichen Aspekte der Vorlage, wie sie in einem Statement zu Carmilla beschreibt. Entstanden ist dabei ein sehr sinnlicher Film über das Erwachsenwerden, über Befreiung und Sexualität.
Von der Figur des Vampirs geht seit jeher eine Gefahr aus, die über das Blutsaugen hinausgeht. In der Rolle des großen Verführers ist er mit einer gewissen Freiheit verbunden, die sich über die Konventionen und Regeln der Zeit, in der die Geschichte spielt, hinwegsetzt und seine Opfer nicht nur betört, sondern ihnen eine Möglichkeit bietet, eben diese Freiheit für sich zu entdecken. Was für eine Figur wie den Grafen Dracula gilt, scheint auch bei einem Charakter wie Carmilla der Fall zu sein, auch wenn ihrer Identität und Herkunft ein Geheimnis bleibt, also keinesfalls so offensichtlich ist wie in der Romanvorlage. Sie taucht durch einen Unfall im Leben der Protagonistin auf, erscheint ihr im Traum als eine Gestalt, die sich scheinbar aus der Dunkelheit der Umgebung herausschält und von diesem Zeitpunkt an nicht mehr von Laras Seite weicht. Das Unheimliche und das Verführerische gehen bei ihr Hand in Hand, machen sie unerklärbar in einer Welt, in der scheinbar alles wegrationalisiert wird.
Im Kontext eine Coming-of-Age-Dramas, wie man Carmilla auch verstehen kann, entspringt dem Unheimlichen eine Kraft, die sich jeglicher Kontrolle entzieht. Wie in vielen anderen Geschichten des Genres ist der Prozess des Erwachsenwerdens auch einer der Entfremdung vom Elternhaus, welches, repräsentiert durch Jessica Raines Miss Fontaine, mit einer Mischung aus Angst, Hysterie und Kontrollzwang darauf reagiert, dass Lara mehr und mehr aufbegehrt. In Harris’ Drehbuch ist das Unheimliche auch das Sexuelle, ebenfalls ein Aspekt des Lebens, der als Kontrast zu einer von Strenge und Moral geprägten Welt steht, in welcher sich die Geschichte abspielt.
Eine dunkle Zeit
Auch Kritiker des Films werden wohl kaum bestreiten können, dass Carmilla ein ausgesprochen schöner Film ist, der sich durch seine Bilder und nicht zuletzt das Licht auszeichnet. Generell ist dieser letzte Aspekt ein zentrales Thema in Carmilla, denn die spärlichen Lichtquellen, meist nur Kerzen, tragen besonders in den Nachtszenen nicht nur zu jener unheimlichen, geheimnisvollen Atmosphäre bei, sondern scheinen auch die Dunkelheit jener Zeit zu betonen, in der sich Handlung abspielt. Hierbei scheint die Idee der Dämonisierung eine Rolle zu spielen, die Harris anspricht in ihrem Statement, denn alles Unerklärliche wird in diese Welt verbannt und als falsch gebrandmarkt oder gar ganz verboten. Jedoch geht gerade von dieser Dunkelheit, was Michael Woods Kameraarbeit noch hervorzuheben scheint, eine besondere Attraktivität aus.
Neben den technischen Aspekten müssen auch die Darsteller in Carmilla gelobt werden. Insbesondere Jessica Raine und Hannah Rae spielen sehr überzeugend Figuren, die sich versuchen innerhalb des Regelkorsetts ihrer Zeit zu arrangieren, doch durch die Repression ihrer Gefühle sich angreifbar für jene Dunkelheit machen. Als Verführerin ist Devrim Lingnau ebenfalls sehr überzeugend, betont ihr Spiel gerade jene Gefahr für das System aus Verboten und Gesetzen, die von ihr ausgeht.
OT: „Carmilla“
Land: UK
Jahr: 2019
Regie: Emily Harris
Drehbuch: Emily Harris
Vorlage: Sheridan Le Fanu
Musik: Philip Selway
Kamera: Michael Wood
Besetzung: Jessica Raine, Hannah Rae, Tobias Menzies, Devrim Lingnau, Greg Wise
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