Um sich einige Wochen Ruhe zu gönnen, buchen die Pariser Freunde Witold (Jonathan Genet) und Fuchs (Johan Libéreau) je ein Zimmer in einem kleinen, verschlafenen Gästehaus auf dem Land. Da der Jurastudent Witold eine Klausur in den Sand gesetzt hat, will er sich zunächst auf das Lernen für die Wiederholung der Prüfung konzentrieren, aber besinnt sich dann auf seinen eigentlichen Wunsch Schriftsteller zu werden, während sich Fuchs nach einer Auszeit von seinem stressigen Job in einem Pariser Modehaus sehnt. Empfangen werden die beiden jungen Männer von der etwas verschrobenen Familie. Madame Woytis (Sabine Azéma) ist nach außen hin die warmherzige und verständnisvolle Gastgeberin, neigt aber bisweilen zu plötzlichen Wut- oder Panikattacken, die von ihrem Ehemann Léon (Jean-François Balmer) mit einer fast schon ironischen Beiläufigkeit zur Kenntnis genommen werden. Darüber hinaus leben im Haus noch Lena (Victória Guerra), die Tochter der Woytis, sowie deren Mann Lucien (Andy Gillet) und die Haushälterin Catherette (Clémentine Pons), welche eigentlich Nonne werden wollte und wegen ihrer entstellten Oberlippe recht scheu gegenüber Fremden ist.
Jedoch ist schon bald an Ruhe nicht mehr zu denken, denn neben den täglichen Auseinandersetzungen im Haus an sich machen Fuchs und Witold seit ihrer Ankunft schon merkwürdige Beobachtungen, die ihnen Anlass zur Sorge geben. Der Fund eines mit einer Kordel erhängten Vogels sowie später einer Katze lassen die beiden Freunde Vermutungen anstellen, wer im Haus wohl verantwortlich für die Taten sein könnte und was dahinter stecken mag. Darüber hinaus sind die fasziniert von der Schönheit Lenas wie auch der scheuen Catherette. Je länger sie in der Pension bleiben und je näher sie der Familie kommen, desto näher kommen sie einer Lösung.
Unheilvolle Zeichen
Der Autor Witold Gomborowicz gehört in seinem Heimatland Polen zu den bedeutendsten Schriftstellern, der nach seiner Ausreise 1939 in vielen seiner Werke, wie auch seinem letzten Roman Kosmos das Chaos im Land darstellte. Die formale wie erzählerische Eigenwilligkeit des Romans machte diesen lange Zeit unverfilmbar, bis Produzent Paulo Branco mit dem Projekt an Andrzej Żulawski (Possession, Der dritte Teil der Nacht) herantrat, der in seiner Filmografie ebenfalls des Öfteren den chaotischen Zustand der Welt aufzeigte, die Hysterie wie auch die emotionale Unordnung. Der 2015 im Rahmen der Filmfestivals Locarno uraufgeführte Film sollte leider auch Żulawskis letztes Werk werden, denn er starb nur wenige Woche nachdem Cosmos in seiner Heimat Polen in den Kinos angelaufen war.
Auch wenn die Genrebezeichnungen für Cosmos wechseln, erscheint doch die Kennzeichnung „metaphysischer Noir-Thriller“ zwar etwas sperrig, doch bei genauem Hinsehen noch die beste zu sein. Ähnlich einer Ermittlung in einem Kriminalfall nähern sich Fuchs und Witold jenen unheilvollen Zeichen, welche sie zu verstehen versuchen und in einem breiteren Kontext sehen wollen, scheitern jedoch an ihnen, sind beide doch so verloren in ihren eigenen Narrativen. Bemüht Jonathan Genets Witold sein Geschick als Schriftsteller, um dem Symbol einen Sinn zu verleihen, erscheint es seinem Kollegen eher wie eine teils frustrierende, dann aber auch wieder heitere Suche nach einem Abenteuer. Die Suche an sich bildet das Ziel, nicht aber den Weg dahin, was nur einer der vielen Ungereimtheiten der Geschichte bildet.
Thriller oder Drama bilden, wie in vielen anderen Werken Żulawskis, lediglich ein Gewand für eine Geschichte, die einer ganz eigenen Logik folgt. Schon die Romanvorlage ist mehr eine Chiffre, eine Collage verschiedener Stile und weniger eine Suche mit einem Ziel. Schon nach wenigen Minuten, wenn man als Zuschauer die Verschrobenheiten und kauzigen Ticks wie auch die Geheimnisse der anderen Bewohner der Pension kennenlernt, fragt man sich, ob eben jene Zeichen tatsächlich irgendwo hinführen und nicht Begleiterscheinungen einer aus den Fugen geratenen Welt sind.
Die Wörter und das Chaos
Wörter, Bilder und die damit verbundenen Narrative sind in Cosmos ein bisweilen problematischer Aspekt des Menschseins. Dem Zuschauer zeigt sich eine hysterische Welt, in der Charaktere teils mitten in der Bewegung einfrieren, immer einen Ticken zu laut sprechen und sich bei ihrer Suche nach einer Wahrheit in eine Manie hineinsteigern, die noch gefährlicher wirkt als jene armen Tiere, die kläglich in den Schnüren verendeten. Jonathan Genets Figur, mit ihrem bohrenden, stets suchenden Blick, erscheint wie eine Reflektion dieser Welt, versucht er doch einen Sinn zu suchen in seiner eigenen Welt, dem Kosmos des Romans, den er entspinnt und auf den Beobachtungen im Haus sowie deren Umgebung basiert.
Gerade an diesen Stellen merkt man die für Żulawskis Werk typische Ironie, entspringt doch gerade jenem Bemühen um ein Narrativ ein noch viel größeres Chaos. Oder es macht blind für eben jene Aspekte der Welt, die eigentlich unsere Aufmerksamkeit haben sollten.
OT: „Cosmos“
Land: Frankreich, Portugal
Jahr: 2015
Regie: Andrzej Żulawski
Drehbuch: Andrzej Żulawski
Vorlage: Witold Gomborowicz
Musik: Andrzej Korzyński
Kamera: André Szankowski
Besetzung: Jean-François Balmer, Sabine Azéma, Jonathan Genet, Johan Libéreau, Victória Guerra, Clémentine Pons, Andy Gillet
Locarno Film Festival 2015
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