Ulrich Larsen führt ein Doppelleben. Der dänische Familienvater ist Koch im Vorruhestand und verfügt über jede Menge Tagesfreizeit. Parallel zu seiner unscheinbaren bürgerlichen Existenz unterwandert er über einen Zeitraum von zehn Jahren nach und nach zunächst die dänische und anschließend die international tätige Korean Friendship Association (KFA). Mads Brüggers zweiteilige Doku-Miniserie Der Maulwurf – Undercover in Nordkorea (bestehend aus zwei Teilen à 60 Minuten) zeichnet diese surreal anmutende Geschichte zwischen Absurdität und Banalität in Brüggers idiosynkratischer Filmsprache detailliert nach.
Undercover auf eigene Faust
Den Grundstein für die Nordkorea-Faszination des Durchschnittsbürgers Ulrich Larsen legte ironischerweise Brüggers Filmschaffen selbst. Mit seinem Dokumentarfilm The Red Chapel aus dem Jahr 2009 hatte er seinerzeit schon einmal das nordkoreanische Regime herausgefordert und gegen sich aufgebracht. Darin reist Brügger (sein aktives Mitwirken vor der Kamera ist das Markenzeichen seines performativen und hybriden Dokumentarfilm-Stils) mit zwei dänischen Schauspielern und Comedians als Theatergruppe getarnt in das diktatorisch geführte und international isolierte Land und kann so ungeahnte Blicke hinter die Fassade der nordkoreanischen Propagandamaschine werfen. Auch Ulrich Larsen ist sofort fasziniert – vom Film, aber auch von diesem unbekannten und abgeschotteten Land auf der anderen Seite der Welt. Er kontaktiert Brügger und bietet ihm an, sich als „Maulwurf“ nach Nordkorea einzuschleichen und sich dabei von Brügger filmen zu lassen. Doch der Regisseur ist bereits mit anderen Filmprojekten beschäftigt und so zieht Larsen zunächst auf eigene Faust mit der Videokamera los.
Brüggers (in der deutschen TV-Version leider synchronisierter) voice-over schildert die Entstehungsgeschichte des Films eingangs selbst und gesteht: „Wäre dies ein Spielfilm, hielte man das für unrealistisch. Aber das ist kein Spielfilm. Alles in diesem Film ist wahr und über einen Zeitraum von zehn Jahren passiert.“ Nun sollte man mit dem Begriff „Wahrheit“ im Dokumentarfilm nicht erst seit dem Fall Lovemobil äußerst vorsichtig umgehen. Allerdings ist Vorsicht nicht gerade das Steckenpferd von Mads Brügger und seine hybriden Dokumentarfilme beinahe schon ein Genre für sich (siehe Cold Case Hammarskjöld). In Der Maulwurf ist Brügger selbst zwar auch mit von der Partie, allerdings merklich zurückgenommen und eher in einer journalistischen Beobachterrolle. Diese Zurückhaltung des sonst so exaltierten Regisseurs ist aber wohl nicht pure Bescheidenheit, sondern hat auch ganz praktische Gründe: Seit The Red Chapel darf Brügger nicht mehr einreisen, ihm sind also gewissermaßen die Hände gebunden und er ist auf den „Maulwurf“ angewiesen.
Kriminelle Geschäfte
Als weitere „neutrale“ (auch das ein Reizwort) Instanz hat Brügger eine ehemalige MI5-Agentin und heutige Whistleblowerin zwischengeschaltet. Die Geheimdienstexpertin „interviewt“ Larsen und ordnet seine Erlebnisse in dieser „Geschichte voller Betrug und Intrigen“ für das Publikum ein. Der „Maulwurf“ begann seine Undercover-Karriere ganz bescheiden an der Basis der Korean Friendship Association (KFA). Diese international tätige „Solidaritätsorganisation“ hat sich der regimetreuen Darstellung Nordkoreas im Ausland verschrieben. Mit einer Delegation der KFA reiste Larsen (mit seiner Kamera) erstmals nach Nordkorea. Inzwischen ist auch Brügger hinter den Kulissen involviert und begleitet Larsens Weg. Dieser steigt sukzessive in der internen Hierarchie der KFA auf und wird schließlich zum KFA-Vertreter für ganz Skandinavien ernannt. Plötzlich wird alles ziemlich ernst – und kriminell.
Ein neuer Player erscheint auf der Bildfläche: KFA-Präsident Alejandro Cao de Benós. Der (größen-)wahnsinnige Spanier geriert sich in Nordkorea als kleiner Diktator und fungiert ganz nebenbei auch als Mittelsmann für Waffen- und Drogengeschäfte des Regimes. Bei diesen soll Larsen ihn nun unterstützen, indem er reiche Geschäftsleute an Land zieht, die Geld in Nordkorea investieren. Ziel ist es, dem bankrotten autoritären Staat Devisen zu beschaffen. Die allermeisten legalen Geschäfte sind Nordkorea aufgrund der UN-Sanktionen verboten, allerdings werden diese, wie der Film zeigt, von Nordkorea mehr oder weniger subtil umgangen. Nun, dies ist wohl der Punkt, an dem ein normaler Mensch wohl aus der ganzen Sache ausgestiegen wäre. Nicht so jedoch der unscheinbare, aber ganz sicher nicht feige Larsen (unklar bleibt indes, ob bzw. wie viel Überzeugungsarbeit Brügger leisten musste). Brügger, der dramaturgische Strippenzieher im Hintergrund, engagiert einen professionellen Schauspieler, um einen vermeintlichen Investor zu mimen und so die Ereignisse aktiv voranzutreiben
Fingierte Aktion, reale Auswirkungen
Es kommt zu mehreren Treffen zwischen dem fingierten Investor, dem vermeintlichen Öl-Milliardär James, und dem KFA-Leiter Alejandro. Brügger-typisch werden diese geheimen Meetings mit versteckter Kamera heimlich mitgeschnitten. Brügger selbst ist es auch, der Ulrich und James Nachhilfe in Nordkorea-Etikette („Je weniger ihr erzwingt, desto besser.“) und einen Spion-Crashkurs gibt. Dieses Insiderwissen können die beiden auch gut gebrauchen, denn unfassbarerweise fallen die Nordkoreaner auf James und dessen vollmundige Angebote rein. Wobei „reinfallen“ wohl auch nicht ganz richtig ist. Sehr wahrscheinlich ahnt man, dass da irgendetwas nicht stimmt, aber so lange am Ende das Geld fließt, ist das offenbar zweitrangig. So kommt es tatsächlich zu einem konspirativen Treffen mit dem Chef einer nordkoreanischen Waffenfabrik und es werden offizielle Verträge ausgearbeitet und unterschrieben. Die augenscheinliche Normalität und Selbstverständlichkeit, mit der das alles geschieht, ist hierbei das eigentlich Schockierende.
Im zweiten Teil der Miniserie wird es dann konkret: Geplant ist der Bau einer geheimen, als Luxus-Urlaubsressort getarnten Waffen- und Drogenfabrik in Uganda. Hier wiederum werden bei Brügger-Kenner*innen unwillkürlich Erinnerungen an The Ambassador, Brüggers Meisterwerk aus dem Jahr 2011, wach. Darin hatte sich der dänische Filmemacher als liberianischer Honorarkonsul ausgegeben und als solcher getarnt (unter Lebensgefahr) den Handel mit Blutdiamanten in der Zentralafrikanischen Republik aufgedeckt. In Der Maulwurf nun wird den Bewohner*innen vor Ort in Uganda erzählt, es würde ein Krankenhaus gebaut. Natürlich weiß hier niemand, dass hier ein doppeltes bzw. dreifaches Spiel gespielt wird. Da kann es einem aus moralischer Sicht schon etwas übel werden; nicht aufgrund der konkreten fingierten Aktion mit sehr realen Auswirkungen, sondern vielmehr im Wissen darum, dass solche krummen und menschenverachtenden Geschäfte an der Tagesordnung sind und in der Regel vermutlich keine versteckte Kamera mitläuft.
Ein Leben in Angst
Ein perfides „Dreiecksgeschäft“ wird in die Wege geleitet; die schmutzigen Details seien an dieser Stelle nicht verraten. Wie in allen Filmen von Brügger, verselbständigen sich die Ereignisse irgendwann. Warum sie die wahnwitzige Aktion nicht abbrechen, solange sie noch können? Nun: „James steht auf Action und ich als Filmemacher liebe Sensationen.“ Der Spuk hat erst ein Ende, als der eine Faktor ins Gewicht fällt, den man nur schwer fingieren kann: James verfügt natürlich (bzw. zum Glück!) nicht über die versprochenen Millionen, um die Waffen- und Drogendeals wirklich abzuwickeln. Um dennoch ein explosives Finale auf die Beine zu stellen, lassen sich die beteiligten etwas einfallen. Larsen, der im Verlauf der sich zuspitzenden Ereignisse zusehends in den Hintergrund getreten war, bekommt noch einmal seinen großen Auftritt: Beim Jahrestreffen der KFA stellt er ganz nonchalant die Pläne für die geheime Fabrik in Uganda und ein Anwesender – man kann es sich nicht ausdenken – postet das Ganze bei Facebook.
Spätestens jetzt ist das Geschäft vom Tisch und nun kann auch Brügger selbst wieder das Ruder übernehmen. Larsen und er konfrontieren Alejandro – der übrigens seinerzeit Brüggers Einreise nach Nordkorea für die Dreharbeiten zu The Red Chapel organisiert hatte – mit Larsens Undercover-Tätigkeit. Es ist ein relativ kurzer Zoom-Call. Viel interessanter ist ohnehin das Gespräch Larsens mit seiner Frau, der er sein seit zehn Jahren andauerndes Doppelleben beichtet. Seine Ehefrau ist verständlicherweise vollkommen verstört und es ist sehr schade (und auch ungerecht), dass ihr und ihrer Perspektive im Film nicht mehr Platz eingeräumt wird. Ihr bürgerliches Leben führen die beiden nun vorerst unter Personenschutz – aus Angst vor Racheakten Nordkoreas.
OT: „Muldvarpen – Undercover in Nordkorea“
Land: Dänemark
Jahr: 2020
Regie: Mads Brügger
Musik: John Erik Kaada
Kamera: Jonas Berlin, Heine Kaarsberg, Tore Vollan
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