Elpide

Inhalt / Kritik

In der Literatur wagten Autoren wie Aldous Huxley in Schöne neue Welt oder George Orwell in 1984 zu ihrer Zeit teils provokante und sehr pessimistische Prophezeiungen über die Zukunft der Menschheit. Was zunächst als übertrieben abgekanzelt wurde, erscheint in der Realität des Jahres 2021 keinesfalls mehr so und auch nicht mehr als eine Warnung, wie es die Autoren eigentlich intendierten. Gerade vor dem Hintergrund, dass gewisse Grundfreiheiten immer weiter im Dienste der Sicherheit eingeschränkt werden, haben die fiktiven Welten dieser Dystopien uns viel zu sagen über unsere Wirklichkeit. Speziell in den letzten Jahren erleben wir durch Serien wie The Handmaid’s Tale oder andere Titel ein regelrechtes Wiederaufleben dieser Narrative, auch im asiatischen Raum, wie unlängst durch Lav Diaz’ düstere Zukunftsvision seiner philippinischen Heimat in The Halt. In diesem Zusammenhang ist auch Gaëlle Azzams Regiedebüt Elpide zu verstehen, welcher bereits auf dem Maskoon Film Festival ausgezeichnet wurde und dieses Jahr im Programm des Arabischen Filmfestivals Berlin zu sehen ist.

Die Geschichte spielt in einer namenlosen Stadt, in welcher das Tragen von Masken obligatorisch ist ab dem achten Lebensjahr. Darüber hinaus ist Besitz über das Lebensnotwendige hinaus nicht gestattet und muss bei einer behördlichen Stelle zur Vernichtung abgegeben werden. Ein strenges Regime, präsent durch Kameras wie auch Polizisten, regelt die Einhaltung der Regeln wie auch die Bestrafung. Jedoch versteht der (noch) siebenjährige Elpide (Chris Jamal) wenig von dem, was um ihn herum passiert, und versteht nicht, warum er beispielsweise die bunten Steine, welche er auf dem Weg von der Schule sammelt, nicht behalten darf.

Elpides Eltern und seine Lehrer bereiten den Jungen bereits auf seinen bevorstehenden Geburtstag vor, an dem ihm feierlich die Maske überreicht wird und er ein vollwertiges Mitglied der Gemeinde wird. Doch je näher der Tag kommt, je mehr Zweifel hat Elpide an der Welt und dem System, in dem er lebt.

Überwachen und Strafen

Wie so viele andere dystopische Texte und Filme entwirft auch Azzam in ihrem Kurzfilm das Bild einer abstrakten, bisweilen menschenfeindlichen Welt. Das Tragen der Masken wie auch die generelle Farblosigkeit der Welt, in der Elpide spielt, wirken bedrückend und berauben die Figuren wie auch ihre Umgebung jeglicher Individualität. Diese Mischung aus Abstraktion und Erschrecken ist von der ersten Einstellung an spürbar, wenn man Elpide in seinem Klassenraum sieht, man die Stimmen seiner Mitschüler hört, aber aufgrund der Masken nicht sieht, woher die Stimme überhaupt kommt.

Auch wenn die Ästhetik etwas anderes vermuten lässt, geht Azzam subtil vor, wenn es um die Mechanismen dieser Welt geht. Indem sie vornehmlich die Perspektive Elpides, eine Uninitiierten, einnimmt, erhält der Zuschauer immer mehr einen Eindruck über das System aus Angst, Kontrolle und Bestrafung, welches das Zusammenleben bestimmt. Immer wieder bekommt man eine Ahnung über die Grausamkeiten und die Folter, die hinter irgendwelche Türen abläuft, wenn man beispielsweise Zeuge wird, wie ein anscheinend bewusstloser Mann in ein dunkles Haus gezerrt wird von zwei anderen Männern.

Credits

OT: „Elpide“
Land: Libanon
Jahr: 2019
Regie: Gaëlle Azzam
Drehbuch: Gaëlle Azzam
Musik: Joy Moughanni
Kamera: Anthony Yazbeck
Besetzung: Chris Jamal, Nicole Hammouche, Nour Jammal, Mahmoud Beaini, Micho Chammas



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"Elpide" ist ein Kurzfilm, der die erschreckende Vision einer Welt zeigt, die bestimmt ist von Kontrolle, Angst und Bestrafung. Gaëlle Azzams Inszenierung überzeugt durch ihre subtilen Ausdrucksformen, die in der Folge einen viel nachhaltigeren Eindruck auf den Zuschauer machen, als jedes noch so explizite Bild es vielleicht könnte.
6
von 10