Lyle Mitchell Corbine Jr.

Lyle Mitchell Corbine Jr. [Interview]

In seinem ersten Spielfilm Wild Indian erzählt Lyle Mitchell Corbine Jr. die geschichte von zwei Jungen, die in einen schrecklichen Vorfall verwickelt werden, welcher die beiden  ins Erwachsenenalter verfolgt – wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise. Wir haben uns mit dem Regisseur und Drehbuchautor im Umfeld des Sundance Film Festivals 2021 über sein Werk und seinen Werdegang unterhalten, wo sein Thrillerdrama Weltpremiere feierte.

Könntest du uns ein bisschen über die Entstehung deines Films Wild Indian erzählen? Wie bist du auf die Idee gekommen?

Ich habe in Kalifornien gelebt in meinen Mittzwanzigern und fühlte mich losgelöst von meinem Stamm und meinem Reservat. Also habe ich viel über meine Gefühle geschrieben und mir beispielsweise vorgestellt, wie mich mein Cousin besuchen kommt in diesem fremden Umfeld. Das war sozusagen die Geburtsstunde der Geschichte. Seither hat sie sich aber sehr verändert. Im Laufe der etwa 20 Fassungen, die ich seither geschrieben habe, bewegte sie sich immer stärker in Richtung Mord und Thriller.

Warum hast du aus diesem Stoff kein reguläres Drama gemacht? Das wäre bei dem Thema doch naheliegend gewesen.

Stimmt. Aber das wäre langweilig gewesen.

Wild Indian ist dein Spielfilmdebüt. Was waren die Herausforderungen dabei, deinen ersten Film zu drehen?

Zu viel über alles nachzudenken. Ich habe all die Bücher gelesen, was man bei seinem ersten Film beachten sollte und welche Fallstricke es dabei so gibt. Da gewöhnst du dir an, sehr vorsichtig zu sein. Ansonsten waren die Herausforderungen einfach unsere fehlenden Erfahrungen. Mir stand zwar ein tolles Team zur Verfügung und es war großartig, mit ihm zu arbeiten. Aber klar, du musst dich erst einmal finden, gerade bei einer so kleinen Produktion wie unserer.

Und wie sieht es mit dem Casting Prozess aus? Bei einem Film wie Wild Indian, der so sehr auf einige wenige Figuren fokussiert wird, ist es schließlich besonders wichtig, die richtigen Schauspieler zu finden.

Das war natürlich vor allem bei Makwa nicht einfach, da er eine so komplexe Figur ist mit einigen wirklich finsteren Eigenschaften. Michael Greyeyes, der Makwa spielt, ist hingegen ein so unglaublich netter Mensch. Aber das war dann auch das Spannende für mich, einen solchen Menschen und eine solche Figur zusammenzubringen.

Obwohl dein Film eine so kleine Produktion ist, spielen mit Kate Bosworth und Jesse Eisenberg gleich zwei große Stars mit. Wie kam es dazu?

Ich kannte die Agenten der beiden und hatte ihnen mein Drehbuch zugeschickt. Zuerst hatte sich Jesse zurückgemeldet und gemeint, dass es ihm gefallen hatte. Also habe ich den Agenten gefragt, ob er es nicht auch Kate geben könnte, weil er sie ebenfalls vertritt. Ich fand einfach, dass sie perfekt für diese Rolle passen würde. Zu meinem Glück hat sie am Ende auch Ja gesagt.

Kommen wir zum Inhalt deines Films. Du erzählst darin, wie zwei Jungen eine gemeinsame furchtbare Erfahrung machen. Wie kommt es, dass sie so unterschiedlich damit umgehen und sich dabei komplett in verschiedene Richtungen entwickeln?

Makwa hat insgesamt eine furchtbare Kindheit gehabt und wurde ständig misshandelt. Und auch für ihn ist es entsetzlich, was er da getan hat. Doch er war es eben gewohnt, alles zu unterdrücken und nichts nach außen kommen zu lassen. Ted-O hat vielmehr sein Herz auf der Zunge und kommt deshalb nicht damit klar, dieses Geheimnis für sich behalten zu müssen.

Wobei auch Makwa seine Probleme damit hat. Er ist irgendwann einfach gegangen und hat alles hinter sich gelassen: seine Heimat, seine Familie. Er hat sogar seinen Namen geändert. War es notwendig, dass er seine Vergangenheit tötet um weiterzukommen?

Das ist eine der Fragen in dem Film. Ich denke, dass es allgemein schwierig ist, die eigene Vergangenheit komplett hinter sich zu lassen. Zumindest wenn sie, wie es bei Mawka der Fall ist, nicht verarbeitet wurde. Dann wird sie dich immer verfolgen.

Was wäre denn für ihn die Alternative gewesen?

Sich zu stellen, würde ich schätzen.

Der erwachsene Mawka ist ein sehr grausamer Mensch. Ist das die Folge des Missbrauchs und des Mobbings oder ist diese Grausamkeit angeboren?

Das ist eine Frage, die jeder für sich selbst beantworten kann. Ich denke, dass es vermutlich beides ein bisschen ist.

Wie sehr spielen dabei Mawkas Erfahrungen als Ureinwohner eine Rolle? Missbrauch und Mobbing an der Schule können schließlich jeden treffen.

Da ist definitiv eine universelle Geschichte in Wild Indian, die jeden ansprechen kann. Das war auch so beabsichtigt. Gleichzeitig wollte ich mit dem Film aber auch mein Verhältnis zu meiner Familie und meinem Stamm ausdrücken und wie ein Trauma von Generation zu Generation weitergegeben werden kann. Diese beiden Punkte wollte ich zusammenbringen.

Wie sehr wirst du selbst noch immer von deinem Stamm beeinflusst? Welchen Anteil hat er an deinem Leben?

Ich lebe noch immer in einem Reservat, genau wie meine Eltern. Die ersten Schulen, auf die ich gegangen bin, waren auch Stammesschulen. Meine Herkunft ist also schon ein sehr großer Teil von mir und beeinflusst mich nach wie vor. Und ich versuche auch, dieser Gemeinde nahe zu bleiben, selbst als ein Filmemacher in seinen Dreißigern.

Wie sieht es denn in deiner Gemeinde aus? Wie ist die aktuelle Entwicklung?

Letztendlich ähnlich zu anderen Gemeinden. Es gibt bei uns auch die Probleme mit der Armut und den Drogen. Oder Umweltzerstörung.

Ist es schwieriger, als Ureinwohner Filmemacher zu werden?

Vermutlich schon. Wobei das auch eine Frage der Schicht ist, der du angehörst. Filmemacher zu werden, das ist eine teure Angelegenheit. Ich hatte in der Hinsicht das Glück, dass ich in einem finanziell sicheren Umfeld aufgewachsen bin. Ohne diesen Rückhalt hätte ich das nicht machen können. Und in meiner Gemeinde gibt es viele, die sich das nicht hätten leisten können.

Wie sah denn deine Ausbildung aus? Warst du auf einer Filmschule?

Eine Filmschule habe ich nicht besucht, dafür aber Kurse genommen. Außerdem habe ich den Filmclub an meiner Universität geleitet, wo ich Englisch und Philosophie studiert habe. Dabei habe ich auch die ganzen anderen Leute kennengelernt, die Filme machen wollten.

Welche Aufgabe hast du dir als Filmemacher vorgenommen?

Andere Leute zu unterhalten. Okay, bei Wild Indian jetzt vielleicht weniger. Das ist kein unterhaltsamer Film. Meine Filme sollen aber schon auch inhaltlich etwas zu bieten haben. Etwas, über das du dich austauschen kannst.

Jetzt, da dein erster Film fertig ist, wie geht es bei dir weiter? Was sind deine nächsten Projekte?

Ich arbeite an mehreren Sachen derzeit, darunter ein Actionfilm und ein Historiendrama. Wild Indian war für mich ja ein sehr persönlicher Film, der das Ergebnis von einer langen Selbstreflexion war. Und auch wenn ich Zukunft sicher noch andere persönliche Filme drehen werde, möchte ich wie gesagt die Leute unterhalten. Ich selbst mag zum Beispiel Terminator und Matrix.



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