Im Leben des westdeutschen Unternehmers Theo Neuner (Manfred Krug) gibt es nichts, was ihn so leicht aus der Bahn wirft. Als jedoch seine langjährige Geliebte stirbt, geschieht genau das, wovor er sich so fürchtet: Der Verlust kümmert ihn und geht ihm nahe. Seine Begegnung mit Anni (Sibylle Canonica), der Schwester der Toten, und die Begleichung der Bestattungskosten beschließen für ihn diesen Lebensabschnitt und seine Laune verdüstert sich zusehends, was seine Frau Nora (Claudia Wedekind), die von der Affäre nie etwas ahnte, als eine jener Launen ihres Mannes abtut. Zeit zum Trauern hat Theo sowieso nicht, denn in Ost-Berlin brummt das Geschäft mit Grundstücken nach der Wende, wobei es ihm ein altes Fabrikgelände besonders angetan hat. Darüber hinaus will er endlich im Vollbesitz jenes Hauses sein, was er mit einer alten Bekannten der Familie Neuner einst gekauft hat. Da mit der Wende die Preise für Immobilien fallen und seine Bekannte darüber hinaus noch todkrank ist, sieht Theo auch hier ein sicheres Geschäft.
In Berlin angekommen, kommt es durch einen Zufall dazu, dass Nora von dem Verhältnis ihres Mannes erfährt, als sie durch Zufall auf Annis Nummer in Theos Jackentasche stößt. Während sie versucht, in Berlin Zuflucht bei ihrem Sohn sowie ihrem Freund Felix (Klaus Wennemann) zu finden, irrt Theo durch dieses neue, wiedervereinte Berlin, trifft sich gleichfalls mit Felix wegen des Hauskaufs wie auch mit Anni, zu der er sich hingezogen fühlt.
Die Abwicklung des Ostens
Fernsehzuschauer werden mit dem Team um Manfred Krug, Regisseur Werner Masten und Drehbuchautor Jurek Becker vor allem gute, intelligente Unterhaltung verbinden, waren sie doch verantwortlich für die sehr erfolgreiche Serie Liebling Kreuzberg, durch die Krug einem Millionenpublikum bekannt wurde. Neben der Arbeit fürs deutsche Fernsehen brachten sie auch die Geschichte des abgeklärten Bauunternehmers Theo Neuner auf die Leinwand, was zum einen bei Publikum wie Kritik gut ankam und zum anderen einen Bayrischen Filmpreis für Manfred Krug nach sich zog. Vor allem wegen seiner Darstellung lohnt es sich einen Blick auf diese Geschichte zu werfen, welche nicht nur ein brillant gespieltes Porträt eines Menschen ist, der meint Herr seiner Gefühle zu sein, sondern zudem sich als Drama anbietet über das Deutschland nach der Wiedervereinigung, über den Prozess der wirtschaftlichen Abwicklung.
Auch wenn es im deutschen Kino nach der Wende mit Sicherheit noch andere Archetypen für jenen Geschäftsmann gibt, ist Theo Neuner schon eine Ausnahmeerscheinung. Mit lakonischem Witz und dem ein oder anderen Spruch auf den Lippen schwebt der von Manfred Krug gespielte Neuner geradezu durch seinen Tag, ohne dass ihn etwas wirklich berührt, weder das Geschäftliche noch das Private. Gegenüber seinem Sohn gibt er zu verstehen, er möchte lieber im Hotel nächtigen – kein Zufall, wie sich herausstellt, war das Zimmer für ihn und seine Frau doch schon seit Wochen reserviert. Für das bisschen Geschichte oder die Erinnerungen hat Neuner keine Zeit, hängt er doch an nichts und niemandem wirklich, oder zumindest sagt er sich das immer wieder. Die Besichtigung des Firmengeländes, ein heruntergekommenes Fabrikgebäude, an dessen Wänden die Plakate noch an Arbeiterbewegungen alter Tage erinnern, wird von Neuner nur zur Kenntnis genommen, doch ihm geht es um das Geschäft, um mehr nicht.
In der Inszenierung Werner Mastens und im Drehbuch Jurek Beckers ist dieser Theo Neuner ein Stereotyp des Geschäftsmanns, für den die Verhandlung über den Preis eines Hauses teils nicht viel anders ist als die Unterhaltung mit seiner Frau über ihr Sexleben. Es scheint um Profit zu gehen, darum, nicht die Kontrolle zu verlieren und vor allem, nicht sich selber, wobei auch Neuner schnell merkt, das jene Position des Außenseiters auf die Dauer nicht so zufriedenstellend ist.
Die Illusion des Abgebrühtheit
Wie bereits beschrieben, ist es die Darstellung Manfred Krugs, welche Neuner besonders macht, mal witzig und mal sehr traurig. „Ich bin nicht so erschüttert, wie ich tue“ ist eine jener Aussagen, die Theo fast schon mantraartig immer wieder von sich gibt, wie um zu betonen, dass ihn eigentlich nichts betrifft und treffen kann, auch wenn dies schon lange geschehen ist. Beckers Drehbuch erzählt von den Begegnungen dieses Mannes mit seiner Vergangenheit und seiner Familie, mit Schicksalen, deren Verlauf Neuner maßgeblich beeinflusst hat, ironischerweise eben durch jenen emotionalen Panzer, den er sich mit der Zeit zurechtgelegt hatte, und welcher nun im Auflösungsprozess begriffen ist.
Insgesamt vollzieht Werner Mastens Film einen Drahtseilakt zwischen Komödie und Tragödie. Auch wenn die Optik von Neuner sehr an diverse Fernseharbeiten erinnert, tut dies der Faszination, mit welcher der Zuschauer sich mit Theo Neuner auf dessen Streifzüge durch Berlin begibt, keinen Abbruch.
OT: „Neuner“
Land: Deutschland
Jahr: 1990
Regie: Werner Masten
Drehbuch: Jurek Becker
Musik: Klaus Doldinger
Kamera: Klaus Eichhammer
Besetzung: Manfred Krug, Claudia Wedekind, Klaus Wennemann, Sibylle Canonica, Peter Lohmeyer, Aneke Wehberg
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
---|---|---|---|---|
Deutscher Filmpreis | 1991 | Bester Hauptdarsteller | Manfred Krug | Nominierung |
Bestes Drehbuch | Jurek Becker | Sieg |
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