Mitten in Montevideo, in einem kleinen Kino, macht sich dessen Belegschaft bereit für die Spätvorstellung. Während die letzten Gäste die vorherige Vorstellung verlassen, hat Ana (Luciana Grasso) eine Diskussion mit ihrem Vater, dem Filmvorführer, der eigentlich wegen seines Gesundheitszustandes zu Hause sein soll, aber sich partout weigert, seinen Posten zu verlassen. Schließlich kann Ana ihn überzeugen, ihr seine Arbeit zu überlassen, während sie für die Prüfungen an der Universität lernt. Unterdessen versammeln sich eine Handvoll Zuschauer für die Spätvorstellung, eine Neuverfilmung des „Frankenstein“-Stoffes, die besonders blutig und brutal sein soll. Als sie das Signal von ihrem Kollegen bekommt, legt also Ana die Rolle ein und der Film beginnt.
Da sich Ana ihren Büchern widmet, bekommt sie von dem Treiben im Saal nicht viel mit. Das Pärchen interessiert sich schon bald viel mehr für einander und weniger für das Geschehen auf der Leinwand und einer der Jugendlichen nimmt seinen Mut zusammen, um ein Mädchen ein paar Reihen vor ihm und seinen Freunden anzusprechen. Zwar beschweren sich einige Zuschauer lautstark über die Störungen, doch niemand schenkt ihnen Beachtung, sodass nur noch der kleine Junge verbleibt, der mit großen Augen auf die Leinwand starrt und der er schon bald, wegen des gruseligen Films, mit der Angst zu tun bekommt. Doch es geht nicht nur auf der Leinwand blutig zu, denn mitten unter den Zuschauern befindet sich ein wahnsinniger Serienmörder, der, angestachelt von dem Geschehen im Film, auf die Suche geht nach einem neuen Opfer und im Publikum ein Blutbad anrichtet.
Horror und Nostalgie
Leider war es Maximiliano Contentis Spielfilmdebüt aufgrund der Corona-Pandemie weitestgehend vergönnt, auf einer großen Leinwand bei Filmfestivals wie dem HARD:LINE Festival gezeigt zu werden. Dennoch scheint die Freude des Filmemachers in seiner Videobotschaft zu überwiegen, Red Screening endlich überhaupt einem Genrepublikum zeigen zu können, ist das Werk doch vor allem Zeugnis seiner eigenen Leidenschaft für das Medium, vor allem aber das europäische Genrekino. So bedient Contenti in Red Screening vor allem solche Themen, wie man sie von Regisseuren wie beispielsweise Lucio Fulci oder Dario Argento kennt, nämlich die geheimen Obsessionen des Menschen, in diesem Falle des Zuschauers, welche die Geschichte des Filmes bedient, das Bewusstsein, etwas Verbotenes zu sehen, wobei die Strafe für jenen verbotenen Blicke in Contentis Geschichte für die Figuren in Form des Killers brutal und schnell ereilt.
Red Screening ist einer jener Filme, der mit seinen Vorbildern offen umgeht und dessen Geschichte in einer Zeit angesetzt ist, in der das Kino noch nicht ganz von der Digitalisierung überrannt worden war. Im Jahre 1993, in dem die Handlung spielt, wirkt das Kino im Film zwar immer noch etwas arg altbacken, wobei besonders der Beruf des Filmvorführers ins Auge fällt, einem Beruf, der in Anas Familie eine gewisse Tradition zu haben scheint. Von den Wänden, die zum Kinosaal führen, begrüßen einen die Plakate von Argentos Terror in der Oper und Diego Lunas Im Augenblick der Angst, beides Werke, die für Contentis Stil sowie das von ihm mitgeschriebene Drehbuch anscheinend prägend waren.
Doch es gibt noch andere Elemente, die auf eine Verbeugung vor dem Genrekino hinweise. Die schwarzen Handschuhe des Killers, dessen Obsession mit den Augen seiner Opfer sowie die theatralische Inszenierung der Tötungsszenen erinnern an Werke wie die bereits im letzten Absatz genannten. Darüber hinaus scheint Hernán González’ Filmmusik inspiriert zu sein von den Kompositionen von Bands wie Goblin oder Tangerine Dream, die aus dem Kino der 70er und 80er Jahre kaum wegzudenken sind.
Tödliche Blicke
Allerdings ist Red Screening mehr nur als ein cineastischer Zitateteppich, sondern verweist auf eine Zeit, in der das Kinoerlebnis anders war als heute. Dabei spielt der Akt des Sehens eine große Rolle, denn nur wer tatsächlich hinsieht, wer sich konzentriert und nicht ablenken lässt, scheint eine Chance zu haben, den Klauen des Mörders zu entkommen, der bereits nach wenigen Minuten sein erstes Opfer besonders blutig zur Strecke gebracht hat. Einzig und alleine der Junge, der mit der Gewalt auf der Leinwand gar nicht so recht klarkommt und gleichzeitig gefesselt ist von dem, was er da sieht, ist immun gegenüber dem, was um ihn herum vorgeht. So scheint Contenti mit dem Akt des Sehens als Thema immer wieder zu spielen, mit der Faszination des Zuschauers an den Bluttaten auf der Leinwand, aber auch, mit Blick auf die heutige Zeit, auf die vielen Ablenkungen, die ein immersives Erlebnis im Kinosaal fast schon unmöglich gemacht haben.
OT: „Al morir la matinée“
Land: Uruguay, Argentinien
Jahr: 2020
Regie: Maximiliano Contenti
Drehbuch: Manual Facal, Maximiliano Contenti
Musik: Hernán González
Kamera: Benjamin Silva
Besetzung: Julieta Spinelli, Luciana Grasso, Ricardo Islas, Daiana Carigi, Fernán Moliv, Franco Duran, Hugo Blandamuro
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