An Kontroversen rund um Netflix mangelt es nicht gerade. Ob es nun die Grundsatzfrage ist, ob Stream Segen oder Fluch für Filme darstellt, oder spezielle Titel wie der fragwürdige Erotikthriller 365 Days – da darf viel und oft gestritten werden. Ein weiteres Werk, das derzeit Stoff für hitzige Diskussionen liefert, ist der Dokumentarfilm Seaspiracy. Darin setzt sich der britische Filmemacher Ali Tabrizi mit dem Thema des kommerziellen Fischfangs auseinander. Dafür reist er um die Welt, beleuchtet die Praktiken von Unternehmen, unterhält sich mit verschiedenen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen und nimmt sich auch die diversen Siegel vor, welche die guten Fischprodukte von den schlechten Fischprodukten unterscheiden soll.
Zwischen Lügen und Quälerei
Gerade der letzte Punkt sorgte für jede Menge Ärger, denn das Fazit von Seaspiracy lautet: Eigentlich ist jede Form der kommerziellen Fischerei schlecht. Dafür sammelt er unzählige Argumente und Beispiele, will damit aufzeigen, dass letztendlich der Fischfang an sich furchtbare Folgen nach sich zieht. Die Siegel seien reine Augenwischerei, da niemand auf See wirklich nachprüfen könne, was geschieht. Fischzucht, wie sie etwa bei Lachsen stattfindet, sei mit einer unglaublichen Tierquälerei verbunden, wenn die Fische nur noch im Kreis herumschwimmen können. Die industrielle Fischerei im Meer droht ohnehin, alle möglichen Arten auszulöschen, auch weil es bei der Jagd nach bestimmten Fischen immer wieder zu Kollateralschäden kommt, die man mindestens in Kauf nimmt, teilweise sogar offen sucht.
Ein weiteres damit zusammenhängendes Lieblingsthema von Tabrizi ist, wie die Öffentlichkeit systematisch belogen wird. Lachsfleisch wird künstlich gefärbt, damit es gesünder aussieht. Die Frage nach Plastikmüll wird von so vielen Organisationen und Regierungen als Meerkiller inszeniert und damit verdeckt, dass die alltäglichen Auswirkungen des Fischfangs sehr viel gravierender sind. Das sind jedoch auch die Stellen, an denen Seaspiracy selbst heikel wird. Der Dokumentarfilm bedient sich da – der Titel kündigt es schon an – der Mechanismen von Verschwörungstheorien. Tabrizi inszeniert sich selbst als der eine, der in einem Meer von Lügen die Wahrheit aufdeckt. Ein David, der gegen einen ominösen Goliath ankämpft.
Konfrontativer Denkanstoß
Das geht auch mit einer reißerischen Bildsprache einher, mit der sich der Filmemacher selbst unnötig angreifbar macht. Es geht ihm dann eben doch nicht allein um die Aufklärung, sondern Unterhaltung, gekoppelt an eine bereits festgelegte Agenda. Dass im Nachhinein sich manche Interviewte von der Dokumentation distanzieren, verwundert daher nicht. Hier ist kein neutraler Beobachter am Werk, sondern jemand, der das Publikum generell vom Fischkonsum abbringen möchte und dafür jede Waffe aufwendet, jedes sich anbietende Thema, um sein Ziel zu erreichen. Dazu gehört natürlich auch eine gewisse Emotionalität. Seaspiracy will das Publikum mit schockierenden Bildern wachrütteln und damit konfrontieren, welche Auswirkungen das eigene Essverhalten hat.
Ein derart konfrontativer Ansatz führt fast zwangsläufig zu sehr unterschiedlichen Meinungen. Wer empfänglich ist für das Thema, der findet hier viel Bestätigung. Andere werden sich an der wenig ausgewogenen und manipulativen Weise der Präsentation stören. Sehenswert ist Seaspiracy aber nicht allein der Kontroverse wegen, sondern ganz grundsätzlich als Denkanstoß. Selbst wenn das hier alles eher selektiv ist und man hinter manches eine Fragezeichen setzen darf, so zwingt einen der Brite doch dazu, sich näher mit dem zu beschäftigen, was auf dem eigenen Teller landet, und diesem einen Kontext zu geben. Schön ist der Kontext natürlich nicht. Das nächste Lachsgericht wird man nach dem Film zwangsläufig mit anderen Augen sehen. Allgemein dürften die meisten im Anschluss zumindest zögern, wenn sie im Supermarkt einen Fisch in den Einkaufswagen legen. Wie so viele dieser Dokumentarfilme erinnert der Netflix-Titel an die Verantwortung Einzelner und daran, dass notwendige Änderungen auch klein anfangen können.
OT: „Seaspiracy“
Land: USA
Jahr: 201
Regie: Ali Tabrizi
Musik: Benjamin Sturley
Kamera: Ali Tabrizi, Lucy Tabrizi
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