Die Freiheit, seine Meinung ohne Angst vor Repressalien zu äußern oder wegen dieser verfolgt zu werden, ist eine der wichtigsten Eckpfeiler einer demokratischen Gesellschaft. Nicht nur leitet sich aus ihr gewissermaßen die Presse- wie auch die Versammlungsfreiheit ab, sondern sie beinhaltet das Recht eines jeden Bürgers, der sich gegen ein System oder eine Maßnahme aussprechen kann, sofern diese als negativ empfunden wird, als schädigend oder undemokratisch. Gerade in der heutigen Zeit, in der speziell in den sozialen Medien Meinungsfreiheit immer wieder damit verwechselt wird, jemanden, weil einem dessen Sichtweise nicht passt, zu beleidigen, zu diffamieren oder gar zu bedrohen, lohnt es sich zu vergegenwärtigen, was überhaupt mit diesem Konzept gemeint ist. Unter dem Deckmantel eines solchen Konzepts verbirgt sich nicht selten die Idee, andere Sichtweisen zu zensieren, wobei die Algorithmen moderner Medien einen nicht unwesentlichen Beitrag zu leisten, genauso wie der besorgniserregenden politische Trend ins populistische Lager, der Pluralität in all ihren Formen als Bedrohung empfindet. Der Stempel „fake news“ steht für eine solche Taktik, die gegen solche divergierenden Meinungen, besonders in der Presse vorgeht, diese mundtot machen will, diese bedroht und Journalisten wegsperrt.
Leider lässt sich in vielen Ländern ein Trend beobachten, der Pressevertreter mundtot macht oder diese versucht zu diskreditieren. Mit Blick auf Staaten wie die Philippinen oder die Türkei zeigen sich noch ganz andere Facetten einer auf Machterhalt aufgebauten Politik, wie auch in Mexiko, einem Land, dessen politische Elite schon seit vielen Jahren mit Vorwürfen der Korruption und der Vetternwirtschaft zu kämpfen hat. Journalisten, die es als ihre Aufgabe sehen, hier Aufklärung zu leisten, werden nicht selten Opfer von Anschlägen oder Hass-Kampagnen gegen sie. So ergeht es auch Carmen Aristegui, einer der führenden Vertreterinnen des unabhängigen Journalismus, die mit ihren Beiträgen, ihren Sendungen und Berichten, tausende Menschen erreicht und deswegen nicht selten im Fadenkreuz solcher Kampagnen und Repressalien steht. In ihrer Dokumentation Silence Radio, die auf dem Kasseler Dokfest mit dem A38 – Produktions-Stipendium Kassel-Halle ausgezeichnet wurde und bereits auf vielen internationalen Festivals lief, nähert sich die mexikanische Dokumentarfilmerin Juliana Fanjul der Person Carmen Aristegui und ihrer Arbeit an, sodass ein Porträt entsteht einer entschlossenen Journalistin, doch ebenso eines Systems, welches sie, wie auch viele andere Pressevertreter, als Bedrohung ansieht.
Die Stille füllen, die uns taub macht.
Vielleicht trifft Fanjuls Dokumentation in der heutigen Zeit, in welcher das Etikett der „Lügenpresse“ immer lauter hallt, einen Nerv. Mehr noch als ein Porträt Aristeguis, die als Person auch nach den rund 80 Minuten nach wie vor sehr privat bleibt, scheint es Fanjul um die Janusköpfigkeit der heutigen Medien wie auch der Presse zu gehen, was sich in vielen Einstellungen zeigt. Die Propaganda eines Präsidenten, der sich dem Plagiatsvorwurf zu einer Doktorarbeit in einer sehr inszeniert wirkenden Live-Show im Fernsehen stellt oder sich von Menschen zujubeln lässt, denen er dafür Geld versprochen hat, wirkt nicht wegen ihres artifiziellen Charakters befremdlich. Es stellt sich die Frage, inwiefern die Medien und die Presse sich als Komplizen eines Staatsapparates sehen, der ein Image verkaufen will, was immer mehr Menschen bereit sind anzunehmen, aus Denkfaulheit, Bequemlichkeit oder sturem Patriotismus. Es sind Bilder wie diese, welche betonen, dass das Schweigen und das Hinnehmen der Wunsch des Systems ist, und Menschen wie Aristegui zusammen mit ihrem Team gegen dieses Verstummen versuchen anzukämpfen.
Auch wenn Silence Radio eine Dokumentation ist, erinnert vieles an jenes Paranoia-Kino der 70er Jahre. Immer wieder fühlt man sich an die Filme eines Sidney Lumets (The Untouchables – Die Unbestechlichen, 1976) oder Allan J. Pakulas (Zeuge einer Verschwörung, 1974) erinnert, mit dem Unterschied, dass Fanjul ihrem Zuschauer bewusst macht, dass es sich bei ihrer Geschichte keinesfalls um eine Fiktion handelt, die mit Ende des Filmes vorbei ist. Selbst sie und ihr Team müssen einen Preis zahlen, wenn sie davon berichtet, wie während der Dreharbeiten bei ihr eingebrochen wurde. Das Aussprechen von Wahrheiten sowie die damit verbundene Recherche werden immer schwieriger, stehen unter Beobachtung des Panoptikum des Systems, was Fanjul durch ihre Bilder und Exkurse betont, beispielsweise bezogen auf das umstrittene Überwachungsprogramm des Staates, welches unter dem Deckmantel der öffentlichen Sicherheit verabschiedet wurde.
OT: „Radio Silence“
Land: Schweiz, Mexiko
Jahr: 2019
Regie: Juliana Fanjul
Drehbuch: Juliana Fanjul
Kamera: Jérôme Colin
Zurich Film Festival 2019
DOK.fest München 2020
Französische Filmtage Tübingen-Stuttgart 2020
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