Eigentlich war Lee Jung-soo (Ha Jung-woo) schon auf dem Weg nach Hause, um mit seiner Frau Se-hyun (Bae Doo-na) den Geburtstag ihrer kleinen Tochter zu feiern. Die Torte hat er bereits besorgt, nichts kann mehr schief gehen – dachte er. Doch als er mit seinem Wagen durch einen Tunnel fährt, kommt es zur Katastrophe: Die Konstruktion bricht in sich zusammen und verschüttet ihn unter einem Haufen Geröll. Zwar überlebt Jung-soo die Katastrophe unbeschadet, ist aber gefangen. Sein Auto kann er nicht bewegen. Er kann es nicht einmal verlassen. Kurze Zeit später sind die Rettungskräfte, angeführt von Daekyung (Oh Dal-su), bereits am Unfallort angekommen. Aber was nun? Sie haben keine Chance, zu Jung-soo durchzudringen. Sie wissen ja nicht einmal, wo genau er sich in dem Geröll befindet. Gleichzeitig ist Eile geboten, schließlich bleibt dem Verschütteten nur wenig Zeit, zwei kleine Flaschen Wasser und die Torte …
Ein Ort für Beklemmungen
Man muss noch nicht einmal sonderlich klaustrophobisch veranlagt sein, um Tunnel irgendwie unangenehm zu finden. Die Vorstellung, durch massives Gestein zu fahren, vielleicht sogar über mehrere Kilometer hinweg, ohne den Ausgang zu sehen, das reicht schon für ein beklemmendes Gefühl. Wem es ebenfalls so geht, der sollte sich vielleicht nicht den südkoreanischen Katastrophenfilm Tunnel ansehen, der mit einigen Jahren Verspätung bei uns erscheint. Denn dort muss nicht nur der Protagonist über einen längeren Zeitraum in einer engen, unübersichtlichen Dunkelheit überstehen. Das Publikum wird dabei ebenfalls nicht sonderlich geschont.
Regisseur und Drehbuchautor Seong-hun Kim (Kingdom) fackelt dabei auch nicht lange. Im Gegensatz zu vielen Katastrophenfilmen, die erst einmal über einen längeren Zeitraum die Figuren vorbereiten, bevor das Schicksal zuschlägt, geht der Südkoreaner gleich mitten rein. Nur ein kurzes Gespräch zwischen Jung-soo und seiner Frau werden uns gewährt, danach bricht im Tunnel schon die Hölle los. Für eine umfangreiche Charakterisierung reicht das natürlich nicht aus. Braucht es aber auch nicht, schließlich dürfen wir im Anschluss sehr viel Zeit mit der Hauptfigur verbringen. Und obwohl seine Handlungsmöglichkeiten situationsbedingt eher überschaubar sind, reicht es doch, um ihn tatsächlich näher kennenzulernen und zu erfahren, was für ein Mensch er ist.
Ein Rundumschlag für Politik, Medien und mehr
Überhaupt legt Kim viel Wert auf das Drumherum. Die Bezeichnung Katastrophenfilm trifft auf Tunnel insgesamt auch nur bedingt zu. Nicht nur, dass er näher beleuchtet, wie ein gewöhnlicher Mann in einer solchen Ausnahmesituation reagiert. Er lässt zudem den Blick schweifen und erzählt von den anderen Menschen, die mit dieser Situation in der einen oder anderen Form zu tun haben. Und irgendwie lässt er dabei an niemandem wirklich ein gutes Haar. Ob es nun die Leute sind, die offensichtlich beim Bau des gerade erst fertiggestellten Tunnels gepfuscht haben, die nicht unbedingt mit Kompetenz begeisternden Einsatzkräfte oder auch die Medien und Politiker, die sich einen Wettbewerb darum liefern, wer die Geschichte mehr für sich ausschlachten kann – in Südkorea scheint es keinen Mangel an furchtbaren Leuten zu geben.
Geradezu unnatürlich gut ist im Vergleich dazu Jung-soo. Ein Mann, der selbst in einer ausweglosen Situation sich noch seine Menschlichkeit bewahrt. Das darf man nun realistisch finden oder nicht, so wie man bei vielem hier ein kleines Fragezeichen setzen darf. Aber es gelingt doch Hauptdarsteller Jung-woo Ha (The Closet) ganz gut, seine Rolle zu verkaufen. Das ist immens wichtig, ist man doch für einen Großteil des Films mit ihm in einem Auto eingesperrt, das durch diverse Felsen noch einmal ein ganz Stück enger geworden ist. Da sollte man die Person zumindest mögen können, um nicht vorzeitig als Zuschauer bzw. Zuschauerin wieder aussteigen zu wollen. Zumindest in Südkorea haben ihm seinerzeit aber jede Menge Leute dabei freiwillig Gesellschaft geleistet. Mit über sieben Millionen Besucher*innen war Tunnel 2016 der fünfterfolgreichste Kinofilm des Jahres.
Ein Film mit Längen
Während die Darstellung des Unglücksvogels und die gesellschaftskritischen, leicht satirischen Elemente gelungen sind, sind andere Punkte weniger geglückt. So ist beispielsweise die Länge mit mehr als zwei Stunden schon sehr exzessiv, da die Geschichte aus naheliegenden Gründen nur wenig Abwechslung zulässt. Zwar versuchte man das Geschehen aufzulockern, indem regelmäßig zu den Leute draußen geschaltet wird. Das kann aber nicht verhindern, dass sich ab der Hälfte doch deutliche Längen einschleichen. Es führt außerdem dazu, dass der Klaustrophobiefaktor unter den Möglichkeiten bleibt – das Publikum darf ja dauernd raus zum Luftschnappen. Richtig nervig ist zudem die aufdringliche, dramatische Musik zum Ende hin, die unnötig die Stimmung kaputt macht. Dadurch bleibt insgesamt ein Film, der zwar durchaus seine Stärken hat, aber nicht so sehr fesselt, wie man es von dem Szenario erwarten durfte.
OT: „Tunnel“
Land: Südkorea
Jahr: 2016
Regie: Seong-hun Kim
Drehbuch: Seong-hun Kim
Vorlage: Jae-won So
Musik: Mok Young-jin, Vitek Kral
Kamera: Tae-Sung Kim
Besetzung: Jung-woo Ha, Doona Bae, Dal-su Oh, Ji-Hyun Nam
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