Als der Mann (Thomas Cocquerel) und die Frau (Camille Stopps) zu sich kommen, können sie sich an nichts erinnern. Nicht an den Unfall, in dem sie schwer verletzt worden sind. Nicht, was sie zuvor getan haben. Sie wissen nicht einmal, wer sie sind. Sie wissen nur, dass sie sich in einem Sanatorium befinden, wo sie ein Arzt (Angus Macfadyen) wieder gesund pflegen will. Zumindest sagt er das. Ganz sicher sind sie sich aber auch dabei nicht. Wo sind die anderen Patienten? Warum gibt es außer ihm offensichtlich kein Personal? Und warum ist das Zimmer abgedunkelt, heruntergekommen, sieht mehr nach einem Gefängnis aus? Während die zwei noch mit sich ringen, wie sie sich verhalten sollen, bedrängt sie der Arzt, mehr über sich zu erzählen und nach ihren Erinnerungen zu suchen …
Überlebenskampf auf engem Raum
Vor zwei Jahren lieferte Regisseur Rob Grant mit Harpoon einen kleinen, aber feinen Thriller ab, in dem mit viel schwarzem Humor von einem Trio berichtet wird, das sich auf hoher See an die Gurgel geht. Mit begrenzten Settings kennt sich der Filmemacher also aus. Umso größer war die Neugierde auf Alive – Gib nicht auf!, wo er die Freiheit der See gegen die Beklemmung eines Sanatoriums austauscht. Erneut geht es um drei Menschen, die auf engstem Raum zusammen sind, geht es um düstere Geheimnisse, die nach und nach aufgedeckt werden. Erneut ist das mit einiger Gewalt verbunden, wenn sich die Situation mit der Zeit zu einem Überlebenskampf wandelt und alles dabei richtig schön eskaliert.
Weniger schön ist jedoch, dass bei Alive – Gib nicht auf! so gar nicht der Funke überspringen will. Dabei fängt der Film so schlecht nicht an. Wenn wir den schwerverletzten Mann sehen, der auf dem Boden durch ein schäbiges Labyrinth kriecht, auf der Flucht vor etwas, bei dem man selbst nicht weiß, was es ist, macht das schon neugierig. Als Zuschauer wüsste man an der Stelle schon gern, wer er ist und was das alles soll. Grant spielt natürlich auch mit eben dieser Neugierde, wenn er dem Publikum immer mal wieder kleine Informationshappen vor die Füße wirft. Der Arzt selbst ist dabei mehr wissbegierig als mitteilungsbedürftig, was einen zusätzlich misstrauisch macht.
Konzeptioneller Stillstand
Das Problem ist nur: Die Geschichte entwickelt sich an dem Punkt kaum weiter. Während beispielsweise in Oxygen die Protagonistin durch geschicktes Fragen und Kombinieren immer mehr Puzzleteile zusammenklaubt, sind die zwei Gefangenen hier zu hilflos. Dann und wann starten sie zwar einen Versuch, sich aus ihrer misslichen Lage zu befreien. Alive – Gib nicht auf! verweigert aber sowohl ihnen wie auch dem Publikum einen nennenswerten Fortschritt. Stattdessen dürfen sie sich grausigen „Behandlungen“ hingeben, die ganz offensichtlich mehr einem Hang zum Sadismus entspringen anstatt dem Wunsch, einem anderen zu helfen. Das wird dann eventuell Zuschauer und Zuschauerinnen freuen, die Gefallen an Folterspäßen à la Saw finden. Wo dort aber noch wirklich die Lust an der Gewalt zelebriert wird, da bleibt das hier ohne echte Wirkung.
Was genau Chuck McCue und Jules Vincent mit ihrem Drehbuch wollten, wird deshalb nicht klar. Zwar liegt der Geschichte ein interessanter Gedanke zugrunde, der ganz zum Schluss dann offenbart wird. Allerdings kommt der so unvermittelt, dass es wieder witzlos wird. Gute Twists zeichnen sich meistens dadurch aus, dass das zuvor Gesehene eine neue Bedeutung bekommt und nicht beachtete Hinweise auf einmal Sinn ergeben. Bei Alive – Gib nicht auf! wird diese Wendung zwar nachträglich genutzt, um das Szenario zu erklären. Das alleine reicht aber nicht aus, es fehlt ein Konzept, wie sich dieses und die Handlung zusammenführen lassen.
Zu viel Potenzial ungenutzt
Dem Ensemble kann man dabei noch nicht einmal einen Vorwurf machen. Cocquerel und Stopps spielen tapfer dagegen an, dass ihnen kein inhaltliches Material zur Verfügung steht. Von der durch die Geschichte bedingten Konturlosigkeit der Figuren ganz zu schweigen. Immerhin scheint Angus Macfadyen (Braveheart) seinen Spaß zu haben als sadistischer Doktor, der seine Überlegenheit auszunutzen versteht. Zwischendurch gibt es daher schon immer mal wieder Szenen, die aufzeigen, welches Potenzial zumindest das Setting gehabt hätte. Am Ende bleibt bei Alive – Gib nicht auf! dann aber doch vor allem die Enttäuschung, dass Grant es anders als bei Harpoon nicht geschafft hat, die Vorlage in einen spannenden oder unterhaltsamen Film zu verwandeln.
OT: „Alive“
Land: Kanada
Jahr: 2018
Regie: Rob Grant
Drehbuch: Chuck McCue, Jules Vincent
Musik: Michelle Osis
Kamera: Charles Hamilton
Besetzung: Thomas Cocquerel, Camille Stopps, Angus Macfadyen
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