Bislang folgte der Medizinstudent Vince (Benito Bause) der Lebensphilosophie, möglichst viel Spaß zu haben. Das gilt besonders für seine diversen Männerbegegnungen. So genießt er es, durch die Clubs zu ziehen und dort immer wieder Leute aufzureißen. An einer festen, längerfristigen Beziehung hatte er hingegen kein Interesse. Doch dann trifft der Endzwanziger den attraktiven Fitnesscoach Robbie (Frédéric Brossier) und findet sich zum ersten Mal in einer wirklichen Partnerschaft wieder. Vince’ bester Freund Levo (Arash Marandi) ist da schon entschieden weiter. So hat er sich entschieden, aus der gemeinsamen Wohnung auszuziehen und stattdessen mit seinem neuen Partner Tom (Mads Hjulmand) zu leben. Der wiederum fühlt sich davon jedoch etwas überrumpelt, schließlich hat sich der Familienvater gerade erst geoutet …
Wo sind all die Homosexuellen?
Dreieinhalb Jahre ist es inzwischen her, dass in Deutschland die Ehe für alle beschlossen wurde und damit einen weiteren Schritt in der Normalisierung und Gleichberechtigung von Homosexualität. Wenn es jedoch um die Repräsentation derselben im deutschen Fernsehen geht, da herrscht noch viel Nachholbedarf. Sicher, einzelne Figuren gibt es in hiesigen TV-Filmen und Serien immer mal wieder. Doch dabei handelt es sich meistens um Nebenfiguren wie etwa neulich in Zum Glück zurück. Homosexuelle, die im Mittelpunkt stehen, die sind jedoch eine Rarität. Entsprechend groß wird bei der ARD-Onlineserie All You Need beworben, dass es sich um die erste queere Serie Deutschlands handelt.
Dafür verantwortlich ist der selbst offen homosexuelle Regisseur und Drehbuchautor Benjamin Gutsche (Arthurs Gesetz), der die fünf Folgen von All You Need zu verantworten hat. Heterosexuelle gibt es in seiner Serie zwar auch, darunter die von Christin Nichols gespielte Sarine. Die beste Freundin von Vince und Levo bleibt aber immer etwas außen vor, wird nie wirklich mehr als das fünfte Rad am Wagen. Ansonsten tauchen noch diverse Familienmitglieder in der Serie auf, die mal unterstützend sind, teilweise der Homosexualität negativ gegenüberstehen. Und dann wäre da noch Toms Sohn Nick (Dennis Hofmeister), der nicht glücklich darüber ist, wie die Ehe seiner Eltern zerbrochen ist.
Von universellen Schwierigkeiten
An Schwierigkeiten und Hindernissen mangelt es in All You Need dann auch nicht. Dennoch ist die Serie keines der typischen Problemdramen, welches beim Publikum Gefühle erzwingen will. Zum einen ist der Ton deutlich heiterer, eine typische Dramedy eben. Zum anderen orientiert sich Gutsche stärker an englischsprachigen Serien wie Queer as Folk oder Looking, die sich mit dem Alltag homosexueller Menschen befasst. Der kann mal durch die Homosexualität bestimmt sein, etwa beim Streit mit den Eltern oder der Frage, ob man händchenhaltend durch die Stadt läuft. Andere Punkte sind hingegen deutlich universeller. Die Probleme von Vince, sich auf eine ernste Beziehung einzulassen, haben beispielsweise nichts mit seiner sexuellen Orientierung zu tun. Robbie wiederum schämt sich dafür, dass er weder intellektuell noch finanziell mithalten kann – auch das kann jedem passieren, unabhängig von Geschlecht und sexuellen Vorlieben.
Die Kehrseite: All You Need ist nicht frei von Allgemeinplätzen. Manchmal werden da auch kräftig Klischees bedient. An anderen Stellen werden diese hingegen auch hinterfragt. Tatsächlich ist die Serie dann am spannendsten, wenn sie sich mit der Frage homosexueller Identität befasst. Immer wieder diskutieren die vier darüber, was es überhaupt heißt, schwul zu sein. Ist derjenige fremdbestimmt, der sich an Stereotype hält? Oder ist es derjenige, der um jeden Preis kein Stereotyp sein will? Das zeigt sich an ganz harmlosen Beispielen wie dem Fußball, den Vince langweilig findet, Robbie hingegen gern schaut – und offen bleibt, warum die beiden solche Vor- und Abneigungen haben. Das ist ebenso interessant wie die Ausführungen dazu, schwul und schwarz zugleich zu sein.
Gute Serie mit Widersprüchen
Diskussionsbedarf gibt es im Anschluss also schon. Sehenswert ist die Serie aber auch wegen des Quartetts. Benito Bause, Frédéric Brossier, Arash Marandi (A Girl Walks Home Alone at Night) und Mads Hjulmand verkörpern unterschiedliche Facetten schwulen Lebens, arbeiten ihre Eigenheiten heraus, ohne sich auf diese zu versteifen. Brüche und Widersprüche sind bei dieser zutiefst menschlichen Geschichte erwünscht. Am Ende ist All You Need sicher nicht die epochale Sensation, als die die Serie verkauft wird, profitiert lediglich davon, dass Deutschland an der Stelle so sehr hinterher hinkt. Aber es ist eine gute Serie mit Figuren, die man manchmal mag, die einen manchmal tierisch nerven, und Lebensläufen, die trotz der queeren Ausrichtung für jeden etwas bereithalten.
OT: „All You Need“
Land: Deutschland
Jahr: 2021
Regie: Benjamin Gutsche
Drehbuch: Benjamin Gutsche
Kamera: Felix Poplawsky
Besetzung: Benito Bause, Arash Marandi, Frédéric Brossier, Mads Hjulmand, Christin Nichols, Julius Feldmeier, Karsten Speck, Dennis Hofmeister
Wie sehr sind wir durch Erwartungen an uns geprägt? Und was braucht es für eine funktionierende Beziehung? Diese und weitre Fragen haben wir Hauptdarsteller Arash Marandi in unserem Interview zu All You Need gestellt.
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