Die Webserie All You Need (ab 7. Mai 2021 in der ARD Mediathek) handelt von vier schwulen Freunden sowie der besten Freundin, ihren Beziehungen untereinander, aber auch der schwierigen Frage, wer sie selbst sind. Arash Marandi spielt darin den Webdesigner Levo, der gerade mit seinem neuen Partner zusammenzieht und dabei auf Ablehnung durch den Vater stößt. Wir haben uns mit dem Schauspieler über seine Figur, das Leben mit Erwartungen und das Rezept für eine funktionierende Beziehung unterhalten.
Was hat Sie an der Serie gereizt? Warum wollten Sie in All You Need mitspielen?
Vor allem wegen der sehr lustigen Dialoge und des FRECHEN Humors, der da drinsteckt. Als ich mein E-Casting aufgenommen habe, konnte ich mich kaum halten vor Lachen. Einige Szenen waren so frech, dass mir klar war: Ich muss das spielen! Ich muss das sagen dürfen! Außerdem erzählt die Serie natürlich eine berührende Geschichte.
Ist das ein Humor, den Sie auch sonst pflegen?
Absolut. Ständig Punchlines, immer alles kommentieren und alles ins Lustige ziehen, damit konnte ich total etwas anfangen. Die Position habe ich, glaube ich, auch ein bisschen so in meinem Freundeskreis.
All You Need ist aber nicht nur lustig. Die Figuren haben alle Herausforderungen, denen sie sich stellen müssen. Da ist Tom, der sich erst mit über 40 geoutet hat. Vince, der seine erste ernste Beziehung hat. Was sind die Herausforderungen, mit denen Ihre Figur Levo zu kämpfen hat?
Levo kämpft um Anerkennung von seinem Vater. Er erhält zwar Unterstützung von seiner Mutter und seiner Schwester. Es gelingt aber auch der Schwester nicht so recht, zu ihm durchzudringen und zu sehen, wie es ihm geht. Das ist auch für mich ein persönlicher Anknüpfungspunkt. Man wird älter, die 20er enden, man schaut in den Spiegel und fragt sich: Und was kommt jetzt? Lebe ich mein Leben so weiter? Es gibt ja viele Leute, die ein wenig verloren scheinen, die nicht den Absprung geschafft haben oder sich belügen. Levo hat dieses unterbewusste Gefühl, dass er jetzt diesen Absprung schaffen muss, kann aber natürlich nicht sein altes Leben unmittelbar abschütteln. Das Traurige ist diese Verleugnung: Er fasst einen Plan und setzt diesen durch, in der Annahme, dass Tom das schon so gut finden wird. Das ist wundervoll geschrieben von unserem Regisseur und Drehbuchautoren Benjamin Gutsche, wenn Levo in der neuen Wohnung gleich mal ein Bett kauft und so dekoriert, wie es ihm gefällt, ohne darauf einzugehen, was der andere eigentlich will. Ich kenne das aus meinem eigenen Freundeskreis oder auch von mir, dass man von außen genau sieht, was da vor sich geht. Nur die betroffene Person merkt es nicht.
Wie sehr können Sie allgemein an Levo anknüpfen?
Schon sehr. Ich habe viel von vornherein mitgebracht. Sonst hätte man mir die Figur vermutlich auch nicht anvertraut. Da gibt es schon Gemeinsamkeiten: Ob das jetzt der Witz ist oder das quirlige, ständig umtriebig zu sein und etwas organisieren zu wollen. Wobei ich persönlich nicht am Abend vor einem Umzug noch einmal in einen Club gehen würde. Da wäre ich wahrscheinlich schon konservativ vorsichtig (LACHT). Aber das Schöne an einer solchen Figur, die einen aus der Komfortzone herausholt, ist, dass das auch abfärbt. Ich mag dieses Offenherzige und Flatternde. Levo hat mich in der Hinsicht leichter gemacht. Das finde ich etwas sehr Schönes und bin der Rolle auch dankbar.
Wenn Sie schon meinten, dass Sie aus der Komfortzone herausmussten: Was waren für Sie die Herausforderungen beim Dreh? Was war schwierig?
All You Need war eines dieser Projekte, wo ich immer voller Vorfreude war. Das Team der UFA Fiction war großartig und natürlich auch der gesamte Cast. Wir haben uns auf Anhieb verstanden. Es gab keinen Moment, in dem wir nicht irgendwie gescherzt hätten. Wir teilten alle den gleichen Humor. Mads Hjulmand, der in der Serie meinen Freund spielt, und ich kannten uns schon seit Jahren. Wir haben zusammen in einer Krimiserie gespielt, in der er mich verhaftet hat. Da war es lustig, dass er jetzt mein Partner ist. Insofern gab es gar nicht die großen Herausforderungen. Selbst bei den Liebesszenen, wo man denken könnte, dass das schwierig wird, war so viel Vertrauen da, dass wir uns total hingeben konnten. Auch in den emotionalen Momenten gab es nichts, wo wir Hemmungen hatten.
All You Need erzählt zwar hauptsächlich von den vier homosexuellen Protagonisten, will aber eine größere Zielgruppe ansprechen, braucht also etwas, mit dem sich alle identifizieren können. Was an der Serie ist besonders, was ist an ihr universell?
Im Vordergrund der Serie stehen FÜNF Menschen, VIER VON IHNEN HOMOSEXUELL, die an der Schwelle stehen zu einem neuen Lebensabschnitt. Da sind aber genug Themen dabei, die universell sind. Ob es die alleinerziehende Mutter Sarina ist, die mit 30 noch in einer WG leben muss und mit Humor maskiert, dass sie nicht glücklich ist, der Sohn, der unter der Scheidung leidet, oder Robbie, der in einer kleinen Wohnung im Hochaus-Kiez lebt und sich dafür schämt, das sind Situationen, wie sie jedem begegnen können. Deswegen würde ich All You Need nicht als eine rein queere Serie bezeichnen. Ich habe selbst sehr viel gelacht und geweint bei der Serie und glaube deshalb, dass hier jede und jeder sehr viel für sich herausziehen kann, gerade in Zeiten der Pandemie.
Ein Thema, das in All You Need immer wieder durchschimmert, ist dass die vier mit zwei verschiedenen Erwartungen zu kämpfen haben. Das eine sind die Erwartungen, wie Schwule sich zu verhalten haben. Das andere sind die Erwartungen einer heteronormativen Gesellschaft. Ist es überhaupt möglich, sich zwischen diesen beiden Polen von Erwartungen freizumachen?
Ob man sich je vollständig von solchen Erwartungen lösen kann, kann ich so nicht beantworten. Vermutlich nicht. Man kämpft vermutlich täglich damit und muss sich irgendwie seinen Platz suchen. Im Fall von Vince ist das auch ein Schutzmechanismus. Wenn er keine Händchen halten will, dann auch deshalb, weil er vorher schlechte Erfahrungen gemacht hat. Er meint, dass er als Schwarzer und Schwuler einfach doppelt aufpassen muss. So hat jeder in der Serie sein Päckchen zu tragen. Meine Figur trägt hingegen richtig dick auf, um sich dadurch unangreifbar zu machen. Er ist so etwas wie eine Übersensibilisierung: „Du hast ein Problem mit Schwulen? Dann knall ich dich voll mit meinem Schwulsein!“ Wobei dieses Flamboyante und diese Körperlichkeit natürlich nicht per se schwul sind. In der einen Folge, in der wir in den Lederladen gehen, habe ich eine Lederjacke, eine Versace Hose und Plateauschuhe getragen. Als ich mit diesem Kostüm draußen herumgelaufen bin, um mich daran zu gewöhnen, habe ich gemerkt, wie einige Männer mich komisch bis verächtlich angeschaut haben. Das habe ich einem Maskenbildner erzählt, der selbst aus der Szene ist, und der meinte nur: „Willkommen in unserer Welt. Jetzt weißt du, wie das ist, wenn man auf der Straße dafür angepöbelt wird, dass man ist, wer man ist.“ Da ist mir erst bewusst geworden, dass man dem nicht entfliehen kann. Deswegen ist die Serie auch so wertvoll, denke ich. Es war an der Zeit, dass das deutsche Fernsehen einfach mal eine Geschichte aus dieser Perspektive zeigt und es ist schön, dass das nun die ARD Degeto macht und in der ARD-Mediathek zeigt.
Nun gibt es Anfeindungen aber auch innerhalb der LGBTIQ* Community, obwohl man meinen sollte, dass es dort toleranter zugeht. Rassismus spielt da beispielsweise eine Rolle.
Stimmt. Ich habe das im Rahmen der Recherche auch mitbekommen. Da werden sehr feminine Männer beschimpft. Andere weigern sich auf Datingplattformen, sich mit beispielsweise mit BIPOC zu treffen. Das war mir vorher nicht so bewusst. Auch innerhalb der Community ist man vor Diskriminierung nicht gefeit.
Ganz unabhängig von sexueller Orientierung oder optischer Faktoren: Was ist das Geheimnis einer funktionierenden Beziehung? Darüber wird in All You Need ja auch diskutiert.
Okay, wie viele Stunden haben wir? Aber im Ernst: Die Universalantwort habe ich nicht, sonst wäre ich Millionär. Ich denke aber, dass es wichtig ist, einerseits die eigenen Bedürfnisse mitzuteilen, gleichzeitig aber auch den anderen und dessen Bedürfnisse zu sehen. Man sollte das Gegenüber nie als selbstverständlich wahrnehmen, sondern auf ihn oder sie eingehen, ganz ohne irgendwelche Scheuklappen. Beziehung ist definitiv Arbeit, Kommunikation ist da einfach wahnsinnig wichtig. Aber es ist eine Arbeit, die sich lohnt.
Vielen Dank für das Gespräch!
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