Als der mexikanische Kongressabgeordnete Ignacio de la Torre (Alfonso Herrera) Ende des 19. Jahrhunderts die Präsidententochter Porfirio Díaz (Fernando Becerril) heiratet, sah das für alle nach einer guten Partie aus. Nur hat die Sache einen Haken: Eigentlich hat Ignacio kein Interesse an ihr oder auch an anderen Frauen. Vielmehr dient sie ihm lediglich als Sprungbrett für die politische Karriere sowie als Fassade, um unbemerkt seiner Vorliebe für Männer nachzugehen. Doch so sehr er sich auch bemüht, das Doppelleben fordert seinen Tribut, zumal er nicht gerade zurückhaltend ist bei der Erfüllung seiner sexuellen Begierden. Je häufiger er sich mit anderen trifft, umso größer ist die Gefahr, dass sein großes Geheimnis ans Tageslicht kommt …
Das geheime Leben eines Niemands
Irgendwie ist es kein besonders großes Kompliment, wenn ein Mensch letztendlich nur für seine Beziehung zu anderen bekannt ist. So erging es Ignacio de la Torre, dessen Spitzname „der Schwiegersohn seines Schwiegervaters“ war, Bezug nehmend auf Porfirio Díaz, den Präsidenten Mexikos. Immerhin darf er Teil einer Geschichte sein, die hinter vorgehaltener Hand immer wieder erzählt wurde. So soll er in Wahrheit homosexuell gewesen sein, seine Ehe nur eine Scheinveranstaltung. Vor allem aber wird er mit dem Ball der 41 in Verbindung gebracht, der Anfang des 20. Jahrhunderts ein richtiger Skandal war. Genauer wurden 41 Männer während einer Razzia festgenommen. Das Verbrechen: Sie trugen Frauenkleider.
Ob Ignacio de la Torre nun auf diesem Ball war, wie immer gemunkelt wurde, ist nicht klar. Offiziell gehörte er nicht zu den 41, soll aber als Nummer 42 auf Druck seines Schwiegervaters verheimlicht worden sein. Der Netflix-Film Der Ball der 41 nimmt dieses Gerücht dankbar auf und erzählt eine Art Vorgeschichte dieses gesellschaftlichen Ereignisses, mit dem titelgebenden Ball als großem Finale. Dieses hat es dann auch in sich, wenn wir die vielen Männer sehen, die sich eine eigene kleine Parallelwelt geschaffen haben. Männer, die ihre geheimen Träume ausleben, für die in der Welt da draußen kein Platz ist.
Die Lust an der Spekulation
Um ein tatsächliches Biopic handelt es sich bei Der Ball der 41 daher nicht. Dafür ist der Film zu spekulativ, erfreut sich mehr an der Idee, wie sich das damals abgespielt haben könnte. Regisseur David Pablos zeichnet hier das Bild einer konservativen Gesellschaft, in der Abweichungen von der Norm streng geahndet werden. Gleichzeitig handelt es sich um eine Gesellschaft, bei der hinter der Fassade sehr viel mehr vor sich geht. Das betrifft nicht nur Ignacio, den wir mehrfach bei seinen sexuellen Eskapaden sehen, mit denen er seinem erstickenden, falschen Leben im Präsidentenumfeld entflieht. Überhaupt gibt es hier ein äußeres Mexiko, das den Schein bewahren will, und ein inneres Mexiko, das echte Mexiko.
Es wäre schön gewesen, in diese Richtung noch mehr zu machen. Einen wirklichen Einblick zu geben in das, was das Land ausmacht. In der Hinsicht ist Der Ball der 41 dann doch eher oberflächlich. Gleiches gilt für die Figurenzeichnung. So ist Ignacio in erster Linie dadurch charakterisiert, dass er eben dieses Doppelleben führt. Darüber hinaus erfahren wir nicht wirklich sehr viel über ihn. Für ein Drama, das derart auf eine einzelne Figur zugeschnitten ist, ist das ein bisschen wenig. So richtig viel Bezug entwickelt sich auf diese Weise natürlich nicht. Die Tragik der Geschichte, dass jemand sein Ich verleugnen muss, vorgeben muss, jemand ganz anderes zu sein, die hätte sich besser entfaltet, wenn dieses „Ich“ klar definiert wäre. Oder wenigsten die Sehnsucht nach demselben.
Zu wenig aus dem Stoff gemacht
Dafür sieht Der Ball der 41 sehr schön aus, lockt mit einer tollen Ausstattung und Kulissen, die ungemein zu der Atmosphäre beitragen. Zusammen mit dem immer wieder wichtigen Thema der Intoleranz und einer schwierigen Selbstfindung gibt es daher schon genügend Gründe, warum man sich den mexikanischen Film anschauen kann. Es sind nur nicht so viele, wie am Ende möglich gewesen wären. Die Geschichte um die die Männer, die für ihre Homosexualität bestraft wurden, mag ein großes Ereignis gewesen sein. Die fiktionalisierte Fassung derselben ist es kaum.
OT: „El baile de los 41“
IT: „Dance of the 41“
Land: Mexiko, Brasilien
Jahr: 2020
Regie: David Pablos
Drehbuch: Monika Revilla
Musik: Carlo Ayhllon, Andrea Balency
Kamera: Carolina Costa
Besetzung: Alfonso Herrera, Emiliano Zurita, Mabel Cadena, Fernando Becerril, Paulina Álvarez Muñoz
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