Seit vielen Jahren schon pflegt der alleinerziehende Vater Djibi (Omar Sy) ein Ritual: Er erzählt abends seiner Tochter eine Gutenachtgeschichte, in der er sich in einen strahlenden Prinzen verwandelt. Doch nun ist Sofia (Sarah Gaye) elf Jahre alt und fühlt sich zu erwachsen für Märchen. Stattdessen hat sie ein Auge auf ihren Schulkameraden Max (Néotis Ronzon) geworfen, der in ihrer Vorstellung zu ihrem neuen Prinz wird. Für Djibi bricht damit eine Welt zusammen. Er weiß immer weniger, was seine Tochter will oder wie er Zugang zu ihr finden soll. Doch einfach aufgeben kommt nicht in Frage. Und so fasst er zusammen mit seinem alten Widersacher Pritprout (François Damiens) den Beschluss, die Prinzessin für sich zurückzugewinnen, bevor er vollends in Vergessenheit gerät …
Die schwierige Abnabelung
Irgendwann kommt in jeder Eltern-Kind-Beziehung der Punkt, an dem es heißt, sich langsam voneinander zu lösen. Filmschaffende interessieren sich dabei besonders für die Perspektive des Kindes, das sich abnabelt und nach einem eigenen Platz in dieser Welt sucht. Coming-of-Age-Geschichten gibt es wie Sand am Meer. Seltener wird diese besondere Phase aus der Sicht der Eltern erzählt, deren Lebensinhalt viele Jahre darin bestand, sich um den Nachwuchs zu kümmern und aufzuziehen, und die nun vor einem Bruch stehen. Meistens sind es dann die Mütter, die im Mittelpunkt stehen und die mit dem Empty-Nest-Syndrom zu kämpfen haben. In Der verlorene Prinz und das Reich der Träume ist es nun, aus Ermangelung der Mutter, der Vater, der plötzlich erkennen muss, dass seine Tochter zu einem eigenständigen Menschen heranwächst.
Symbolisch dafür stehen die Gute-Nacht-Geschichten, die Djibi jahrelang jeden Abend erzählt hat. Geschichten voller Fabelwesen und Abenteuer, voller fieser Schurken und großer Magie. Und natürlich Geschichten, in denen er selbst die Hauptrolle spielte. Diese Fokussierung auf sich selbst ist dabei schon ein wenig egozentrisch. Und doch geht Der verlorene Prinz und das Reich der Träume in diesem Moment sehr zu Herzen, wenn der Papa das erste Mal von Sofia gesagt bekommt, sie brauche diese Märchen nicht mehr. Denn die waren für ihn nicht nur eine Möglichkeit, die nicht immer so märchenhafte Realität hinter sich zu lassen. Wenn die beiden zusammen Abenteuer erlebten, dann ging das mit einer besonderen Bindung der zwei einher.
Zwischen Wirklichkeit und Fantasie
Das Besondere dabei: Der Film wechselt ständig zwischen der realen Welt um Djibi und Sofia sowie der besonderen Märchenwelt, in der sich die Abenteuer abspielen. Dabei zeigt Der verlorene Prinz und das Reich der Träume keine klassischen Fantasyszenarien. Vielmehr siedelt Regisseur Michel Hazanavicius (The Artist) die Geschichte in einer Art Filmstudio an. Dort gibt es Wohnmöglichkeiten für die Figuren, dort gibt es Kulissen, die flexibel zum Einsatz kommen. Es gibt sogar Wachmänner, die darauf achten, dass beim „Dreh“ keine unbefugten Personen sich auf dem Set rumtreiben. Die Abenteuer des Papas werden also doppelt in Szene gesetzt: als Film sowie als Film im Film.
Das Drehbuch, welches Hazanavicius zusammen mit Noé Debré (Die Welt gehört dir) und Bruno Merle (Felicità) geschrieben hat, ist deshalb nicht allein die Geschichte um eine besondere Vater-Tochter-Beziehung. Der Film selbst ist auch eine Liebeserklärung an das Geschichtenerzählen an sich. Wenn die zum Teil recht kuriosen Kreaturen durch das Märchenfilmset laufen, dann wünscht man sich zwischendurch, selbst einige dieser Abenteuer hören und sehen zu dürfen. Witzig dabei ist auch, wie beide Welten korrelieren. So findet sich die Realität immer wieder in der Erzählung wieder, hinterlässt dort Spuren, wenngleich natürlich die Fantasie vieles davon abgeändert hat. Das fällt vor allem bei den beiden Prinzen auf, die ganz andere Persönlichkeiten entwickeln, sind sie erst einmal zum Helden erkoren.
Schön und charmant
Das geht dann alles nicht so wahnsinnig in die Tiefe, wohl auch weil die Zielgruppe hier jünger angesetzt ist. Umgekehrt hätte es die Nebenhandlung um die von Bérénice Bejo gespielte Nachbarin nicht gebraucht, die zum Love Interest des Vaters wird. Die Geschichte wird dadurch zumindest nicht nennenswert vorangebracht. Doch trotz dieser kleineren Schwächen ist Der verlorene Prinz und das Reich der Träume ein sehr schöner und charmanter Film, der gleichermaßen ein junges wie auch erwachsenes Publikum anspricht. Ersteres darf sich über eine süße erste Liebe und das ewige Thema der Selbstfindung freuen. Letzteres über die aufmunternde Botschaft, dass sich eine Eltern-Kinder-Beziehung zwar ändern mag, aber dadurch nicht einfach aufhört. Und wenn zum Schluss der Kreislauf des Lebens das nächste Kapitel aufschlägt, dann ist jeder dazu eingeladen mitzuträumen, von Prinzen und Prinzessinnen, wundersamen Wesen und aufregenden Abenteuern, die jedem offenstehen, der in der Lage ist zuzuhören.
OT: „Le Prince oublié“
IT: „The Lost Prince“
Land: Frankreich
Jahr: 2020
Regie: Michel Hazanavicius
Drehbuch: Noé Debré, Michel Hazanavicius, Bruno Merle
Musik: Howard Shore
Kamera: Guillaume Schiffman
Besetzung: Omar Sy, Sarah Gaye, Keyla Fala, François Damiens, Bérénice Bejo, Néotis Ronzon
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