Extraneous Matter

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Inhalt / Kritik

Extraneous Matter
„Extraneous Matter“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Das Leben der jungen Frau (Kaoru Koide) in der ersten Episode des Films verläuft immer nach dem gleichen Schema. Am Morgen macht sie sich eine Tasse Kaffee, isst dabei ihr Milchbrötchen und danach kommen auch schon ihre Kolleginnen, mit denen sie zusammen ein kleines Unternehmen leitet. Am Abend dann sitzt sie mit ihrem Mann beim Abendessen und schaut sich die Nachrichten an, wonach er meistens sich auch schon ins Bett verabschiedet oder, eine Entschuldigung vortragend, die gemeinsame Wohnung wieder verlässt. Eines Tages jedoch wird diese Routine durchbrochen, denn im Wandschrank ihres Schlafzimmers entdeckt die junge Frau eine seltsam aussehende Kreatur, schleimig und mit langen Tentakeln, die sich, bevor sie sich überhaupt wehren kann, um ihren Körper schlängeln und zwischen ihre Beine gleiten. Die anfängliche Angst verwandelt sich in Lust, sodass die Frau bald schon nicht mehr ohne ihren neuen Mitbewohner leben will, der, wie sie nach einiger Zeit feststellt, einen ähnlichen Effekt auf ihre Kolleginnen wie auch ihren Mann hat.

Jedoch ist dies nicht der einzige Haushalt, in dem sich ein solch außerirdische Kreatur eingenistet hat, denn überall auf der Welt tauchen sie auf einmal auf. Ein junger Mann, der eine Bekannte in einem Café in Tokio trifft, zeigt ihr die Kreatur, die er in seiner Wohnung auffand, die er anfänglich eklig fand, jedoch nun sein Herz erobert hat und eine Vorliebe für Süßspeisen entwickelt hat. Einige Zeit später treffen wir auf einen Arbeiter, dessen Firma für die Entsorgung von Abfällen zuständig ist und der im Müll ebenfalls eine solche Kreatur vorfindet, die aber noch am Leben zu sein scheint. Weil er behauptet, er könne verstehen, was sie ihm sagt, überzeugt er seinen Vorgesetzten, die Kreatur zu retten, doch die Polizei hat Gerüchte über ihr Vorgehen gehört und will intervenieren.

„Es ist mir ans Herz gewachsen.“

Bereits 2016 gab Regisseur Kenichi Ugana sein Spielfilmdebüt mit Ganguro Gals Riot und hat seitdem eine ganze Reihe von Kurz- und Langfilmen produziert. Sogar die Pandemie konnte den Schaffensdrang des Japaners nicht stoppen, der sich seinem bereits 2020 entstandenen Kurzfilm Extraneous Matter, nach entsprechender Resonanz auf vielen Festivals, noch einmal widmete und aus diesem eine längere, episodisch angelegte Geschichte machte. Hierbei entstand Extraneous Matter – Complete Edition, der auf der diesjährigen Nippon Connection seine Weltpremiere feiert und neben einer Mischung aus Science-Fiction und Horror darüber hinaus noch eine ironisch überhöhte Geschichte über Einsamkeit und Liebe in der Großstadt erzählt.

Der Alltag der Figuren, welche im Zentrum der einzelnen Episoden stehen, wird durch keinerlei Überraschungen oder andere Vorkommnisse aus der Ruhe gebracht, sodass sie, wie bereits die von Kaoru Koide wie Automaten wirken, die durch ihr Leben schlafwandeln und nach festgefahrenen Mustern agieren. Im Grund zeigt sich eine gewisse Verwandtschaft zu Werken wie Shinya Tsukamotos Tetsuo – The Iron Man, welcher ebenfalls das Eintreffen einer anderen Macht in das tägliche Einerlei eines Charakters beschrieb. Von der Obsession mit Technik ist in Extraneous Matter zwar keine Spur, doch die Abwesenheit von physischem Kontakt oder überhaupt einer positiven Kommunikation hat viele der Figuren in eine Art Schockstarre versetzt, aus der sie die rätselhafte Kreatur herauskatapultiert. „Er ist mir ans Herz gewachsen“, sagt eine der Figuren, sichtlich erfreut und entzückt darüber, jemanden zu haben, um den sie sich kümmern kann.

Liebe und Zweisamkeit

Auch ästhetisch scheint sich Ugana am Frühwerk Tsukamotos zu orientieren. Die monochromen Bilder von Masashi Komino unterstreichen den Eindruck einer urbanen Tristesse oder zumindest einer solchen Wahrnehmung durch die Charaktere. Das Design der Kreatur erinnert aufgrund der Optik, vor allem aber der langen Tentakel, an Oktopusse, wobei Ugana auch hier bewusst ambivalent bleibt, erscheinen die Kreaturen doch als Begleiter für die Figuren und erfüllen deren dringendste Sehnsucht, von sexueller Befriedigung bis hin zu einer Konversation. Interessant ist dabei, das die Kreatur gleichzeitig eine Brücke zwischen Menschen schafft, teilweise ohne, dass die es zunächst merken.

Vielleicht gerade aufgrund der Themen wie Sexualität, Einsamkeit und Voyeurismus spielt insbesondere die Stofflichkeit eine besondere Rolle in Extraneous Matter. Neben der Geräusche der Kreaturen, vor allem das glitschige Schliddern der diversen Tentakel, sind es auch die Klänge des Alltags, welche das Bild des Alltags und später der erwachenden Sehnsucht komplettieren.

Credits

OT: „Ibutsu -kanzenban-“
Land: Japan
Jahr: 2021
Regie: Kenichi Ugana
Drehbuch: Kenichi Ugana
Musik: Hiroyuki Onogawa
Kamera: Masashi Komino
Besetzung: Kaoru Koide, Shunsuke Tanaka, Momoka Ishida, Kaito Yoshimura, Makoto Tanaka

Bilder

Trailer



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„Extraneous Matter“ in der vorliegenden „Complete Edition“ ist eine Mischung aus Science-Fiction und Horror. Kenichi Ugana erzählt eine mit vielen ironischen Spitzen versehene Großstadtgeschichte über Sehnsucht und Einsamkeit, die auf den ersten Blick – wie auch die Kreatur an sich – befremdet, aber mit der Zeit durch ihren kauzigen Charme überzeugt.
7
von 10