Im senegalesischen Dorf Colobane herrscht helle Aufregung: Linguère Ramatou (Ami Diakhate) ist zurück! Die hatte einst selbst in dem Dorf gelebt, bis sie vor rund 30 Jahren alles hinter sich ließ, um woanders neu anzufangen. Die Freude der Bevölkerung gilt jedoch weniger der betagten Dame, an die sich ohnehin nur wenige noch wirklich erinnern. Vielmehr soll die Frau zu einem beträchtlichen Reichtum gekommen sein, der nun Gerüchten zufolge unter den Dorfbewohnern und Dorfbewohnerinnen aufgeteilt werden soll Tatsächlich zeigt sich Ramatou von ihrer großzügigen Seite. Allerdings hat sie eine Bedingung: Sie will Rache an Draman Drameh (Mansour Diouf) üben, der sie seinerzeit geschwängert und anschließend im Stich gelassen hat …
Ein bekannter Stoff in ungewohnter Umgebung
Unter den zahlreichen Theaterstücken und Romanen, die der Schweizer Autor Friedrich Dürrenmatt (Es geschah am hellichten Tag) geschrieben hat, gehört Der Besuch der alten Dame sicher zu den bekanntesten und bedeutendsten Werken. 1956 uraufgeführt wurde die tragische Komödie zu einem Welterfolg, der viele Male auf der Bühne gespielt wurde. Hinzu kamen mehrere Verfilmungen, die erste folgte bereits 1959 und wurde für das deutsche Fernsehen produziert. Die sicherlich ungewöhnlichste ist Hyänen aus dem Jahr 1992. Darin griff Regisseur und Drehbuchautor Djibril Diop Mambéty auf den bekannten Stoff zurück, verlegte den Schauplatz jedoch aus der Heimat ins ferne Senegal. Aus Güllen wird Colobane, Alfred III heißt jetzt Draman.
Dieser Wechsel hat zunächst einmal vorrangig optische Folgen. Wir sind in trockenen Steppen unterwegs, in der das Leben karg ist. Die Leute tragen abwechselnd sehr farbenfrohe Kleidung und etwas, das wie ein zusammengenähter Sack aussieht. Schauplatz und Ausstattung von Hyänen gewinnen dadurch eine zumindest für europäische Augen exotische Note. Darin liegt schon ein gewisser Reiz, so wie es immer irgendwie interessant ist, wenn bekannte Geschichten auf einmal ganz anders aussehen als gewohnt. Inhaltlich hat sich dadurch zumindest auf den ersten Blick jedoch kaum etwas verändert. Wozu auch? Das Stück ist eine Abrechnung mit der Korrumpierbarkeit und Gier der Menschen. Und die ist nun einmal universell.
Die Versuchung, die von draußen kam
Wobei Hyänen zumindest am Rand das Thema auf interessante Weise erweitert. Ging es in Der Besuch der alten Dame um ganz grundsätzliche Fragen zur menschlichen Natur, bekommen diese hier eine historische und postkolonialistische Konnotation. Die Versuchung der ehemaligen Prostitution, die andere nun selbst mit ihrem Geld kauft, bedeutet nicht allein ein besseres Leben. Es bedeutet auch, sich irgendwelchen Kram zu kaufen, den die Industriestaaten verkaufen wollen. Wenn Linguère nach und nach das Wesen des Dorfes ändert und im Sinne des Kapitalismus die Menschen gefügig macht, dann denkt man unweigerlich daran, wie in Afrika der weiße Mann einfiel und alles nach dem eigenen System ummodelte, in völliger Missachtung der lokalen Kultur und Geschichte. Auch die Selbstaufgabe und Identitätskrise des Dorfes gewinnt auf diese Weise eine neue Nuance.
Leider verpasst es Mambéty, diese Verbindung noch etwas konsequenter zu verfolgen. So gibt es zwar schon Momente und Bilder, bei denen es irgendwie naheliegend ist, in diese Richtung weiterzudenken. Im Großen und Ganzen hält sich Hyänen jedoch mehr an die Vorlage, ohne sie nennenswert anzupassen. Interessant und sehenswert ist der Film aber schon. Die Art und Weise, wie sich hier die Ereignisse verschärfen, das brave Dorf zunehmend der Gier verfällt und selbst die Unschuldigen der Versuchung nicht widerstehen können – vergleichbar zur Bankencrash-Satire Goldjungs –, das ist schon erschreckend. Es ist aber auch komisch, auf eine bittere Weise, wenn die angehenden Verbrecher versuchen, den eigenen moralischen Verfall zu rechtfertigen, indem sie sich selbst zum Hüter der Moral erklären. Eine solche Dreistigkeit muss man schließlich erst einmal aufweisen können.
OT: „Hyènes“
Land: Frankreich, Senegal, Schweiz
Jahr: 1992
Regie: Djibril Diop Mambéty
Drehbuch: Djibril Diop Mambéty
Vorlage: Friedrich Dürrenmatt
Musik: Wasis Diop
Kamera: Matthias Kälin
Besetzung: Mansour Diouf, Ami Diakhate, Faly Gueye, Mamadou Mahourédia Gueye, Issa Ramagelissa Samb, Kaoru Egushi
Cannes 1992
Locarno 1992
Cannes 2018
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