Von den starren Regeln der Gesellschaft hält die Studentin Catherine (Laetitia Casta) wenig. Schon früh begeistert sie sich daher für die Proteste der 68er gegen die Obrigkeit, Materialismus und überholte Moralverständnisse. Gemeinsam mit Yves (Yannick Renier) und Hervé (Yann Trégouët) beteiligt sie sich an den Demonstrationen gegen die konservative Regierung De Gaulles. Zwei Jahre später sind Catherine und Hervé Eltern einer kleinen Tochter, der Traum von einem freien Leben ist ihnen aber geblieben. Und so ziehen sie auf einen heruntergekommenen Hof und gründen dort mit anderen eine Kommune, in der jeder so leben können soll, wie er es mag. Doch die anfängliche Euphorie verfliegt, als sie feststellen müssen, dass sich diese Ideale nur zum Teil realisieren lassen …
Was von den Idealen übrig blieb
Es liegt ein wenig in der Natur der Dinge, dass wir beim Aufwachsen und Älterwerden vieles von dem zurücklassen, an das wir einst mal geglaubt haben. Ob es nun die Vorstellung eines Weihnachtsmannes ist, groß gesteckte berufliche Ziele oder auch gut gemeinte Ideale, in der realen Welt ist dafür dann doch nicht so viel Platz. Viele Filme nutzen diese Veränderungen für Midlife-Crisis-Geschichten, in denen sich die Figuren plötzlich bewusst werden: Moment, hatte ich das nicht alles anders geplant? Liebe und Revolution geht da noch ein ganzes Stück weiter, indem wir hier dem Verlauf einer solchen Ernüchterung folgen, vom jugendlichen Wahnsinn bis zu dem sich daraus entwickelnden späteren Leben.
Genauer hat das Regie- und Drehbuchduo Olivier Ducastel und Jacques Martineau, die zusammen unter anderem auch an Théo & Hugo gearbeitet haben, ihre Geschichte als großes Porträt angelegt. Über vier Jahrzehnte spannt sich ihr Fernsehzweiteiler Liebe und Revolution, von den Protesten 1968 bis zu der Wahl Sarkozys im Jahr 2007. Vier Jahrzehnte, in denen natürlich allerhand geschehen ist. Während in der ersten Hälfte noch Catherine, ihre Liebhaber und die Kommune im Mittelpunkt stehen, wird der Fokus anschließend auf deren Kinder gelegt. Genauer sind es Catherines Kinder Ludmilla (Sabrina Seyvecou) und Boris (Théo Frilet), sowie Nachbarsjunge Christophe (Edouard Collin), auf die sich der erzählerische Fokus verlagert.
Die Familie als Abziehbild der Gesellschaft
Das klingt erst einmal nach einer dieser Familiensagen, in denen mit ganz viel Drama und absurden Wendungen und düsteren Geheimnissen gearbeitet wird. Ganz gewöhnlich sind die Schicksale von Catherine und ihrer Kinder auch sicher nicht. Allerdings nutzen Ducastel und Martineau ihren Film nicht, um damit das Publikum emotional aufzuladen. Liebe und Revolution ist, trotz des Titels, sogar relativ nüchtern. Vielmehr handelt es sich um eine Art Langzeitbild. Ob es die besagten Proteste und Demonstrationen sind, die AIDS-Krise in den 1980ern und 1990ern oder auch das spätere Erstarken der Rechten: Die Figuren sind letztendlich nur die Aufhänger, um die Entwicklung von Frankreich aufzuzeigen.
Years and Years tat kürzlich etwas ganze Ähnliches, indem eine über Jahre begleitete britische Familie exemplarisch für ihr Land und die sich verändernde Situation stand. Während dort jedoch der Blick in die Glaskugel gewagt wurde, um auch mit einer gewissen Lust an der Übertreibung zukünftige Gedankenspiele zu wagen, da fehlt bei Liebe und Revolution eine weitergehende Perspektive. Vielmehr versuchte sich der Zweiteiler daran, die vielen Themen, welche Frankreich in den letzten Jahrzehnten umtrieb, sowie die gesellschaftlichen Umwälzungen irgendwie in einen gemeinsamen Rahmen zu bekommen. Eine Mischung aus Historiendrama und Familiendrama also, die auf persönliche Weise allgemeine Entwicklungen aufzuarbeiten versucht.
Trotz Oberflächlichkeit sehenswert
Das ist ziemlich ambitioniert. Zu ambitioniert wohl auch für das Format. Obwohl die Laufzeit mit dreieinhalb Stunden nicht gerade kurz ist, reicht die Zeit natürlich nicht aus, um all dem gerecht zu werden, was das Duo hier erzählen wollte. Schade ist beispielsweise, dass die Verbindungen der 68 vertretenen Meinungen zu den eigenen Kindern so schwach ausfällt. Wenn sich Boris irgendwann für eine bessere AIDS-Versorgung engagiert, bleibt offen, wie sehr er da durch seine Eltern geprägt wurde. Gerade weil Liebe und Revolution immer beides bedienen will, die persönliche wie die gesellschaftliche Ebene, bleibt das letztendlich nur an der Oberfläche. Aber auch wenn die Geschichte vermutlich in einer richtigen Serie besser aufgehoben gewesen wäre, interessante Einblicke gewährt sie durchaus. Quasi im Schnellverfahren nehmen wir mehrere Stationen mit, die Frankreich, aber auch andere Länder geprägt haben. Die dazu beigetragen haben, dass heute manches so ist, wie es ist, selbst wenn wir das alles nicht immer so wollten.
OT: „Nés en 68“
Land: Frankreich
Jahr: 2008
Regie: Olivier Ducastel, Jacques Martineau
Drehbuch: Olivier Ducastel, Jacques Martineau
Musik: Philippe Miller
Kamera: Matthieu Poirot-Delpech
Besetzung: Laetitia Casta, Yannick Renier, Yann Trégouët, Christine Citti, Marc Citti, Kate Moran, Fejria Deliba, Matthias Van Khache, Gaëtan Gallier, Franc Bruneau
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