Der junge Alejandro Jodorowsky (Jeremías Herskovits) lebt mit seinem Vater Jaime (Brontis Jodorowsky) und seiner Mutter Sara (Pamela Flores) in der chilenischen Küstenstadt Tocopilla. Sein Vater ist bekennender Kommunist, ein großer Bewunderer Stalins und regiert zudem seine Familie mit einer eisernen Faust, was besonders sein Sohn zu jeder sich bietenden Gelegenheit zu spüren bekommt. Irritiert und erzürnt durch Sara, die Alejandro seiner Meinung nach verhätschelt, erzieht er diesen zur Strenge, Härte und im Sinne seines eigenen Glaubens an dem Kommunismus. Aus Liebe zu seinem Vater lässt Alejandro alles über sich ergehen, auch wenn ihr das Abschneiden seiner blonden Locken und eine Zahn-OP ohne Betäubung, sehr schmerzen. Doch auch als er zum Maskottchen der örtlichen Feuerwehr gewählt wird, bei der Jaime Mitglied ist, gelingt es ihm nicht, seinen Vater zu überzeugen, der aufgrund der Feigheit und Schwäche seines Sohnes sich gezwungen sieht, gar Opfer der Pest zu verarzten, was den Status seiner Familie als Außenseiter noch weiter bestätigt.
Nach seiner Heilung von der Pest nimmt sich Jaime vor, es nicht mehr länger bei politischen Debatten zu lassen und bei einem Attentat auf den Präsidenten mitzuwirken, was aber schließlich misslingt und Jaime in der Folge gar als Retter des politischen Führers Chile dasteht. Während er in der Gunst des Präsidenten aufsteigt und zu dessen Stallburschen wird, warten Sara und Alejandro daheim. In dieser Zeit des Wartens finden Mutter und Sohn wieder zueinander und es gelingt Alejandro, sich seinen größten Ängsten zu stellen.
Eine Entwicklungsreise
Schon immer hatte der chilenische Regisseur Alejandro Jodorowsky (El Topo, Der heilige Berg) ein eher zwiespältiges Verhältnis zur Filmindustrie, was er in seinen vielen Interviews immer wieder betont. Manifestieren sollte sich dies während der Arbeit an seinem sechsten Film The Rainbow Thief, ein Projekt, bei dem die Produzenten den Regisseur zwangen, sich an das Drehbuch zu halten und somit dessen kreative Input beschränkten. Erst 2013 kehrte Jodorowsky mit The Dance of Reality zum Film zurück, einem Projekt, welches, wie er selbst sagt, vor allem durch Spenden finanziert wurde und dessen Besetzung in erster Linie aus seinen Söhnen oder Enkeln besteht. Die Geschichte handelt von Jodorowskys eigener Kindheit und Jugend, seinem Verhältnis zu seinen Eltern sowie von jener reichen Fantasiewelt, welche ein typisches Merkmal seines künstlerischen Schaffens darstellt.
Wie schon in seinen anderen Arbeiten geht es auch in The Dance of Reality um die Entwicklung des Individuums im Kontext einer oft sehr brutalen Welt. In diesem Falle sind es gleich zwei Figuren, nämlich Vater und Sohn, die eine solche Entwicklung durchmachen, geprägt von einer nicht immer einfachen Beziehung zueinander, den politischen Grabenkriegen jener Zeit wie auch gesellschaftlichen Ressentiments gegenüber Minderheiten oder generell allem Andersartigen. Die Erziehung zur Härte, wie sie Jaime einem Sohn gegenüber propagiert, ist letztlich ein Versuch, Alejandro für ein Leben in dieser Gesellschaft bereitzumachen. Als maskulin empfundene Tugenden wie Schmerzunempfindlichkeit, Strenge, Disziplin und Ehre sind Bestandteile dieser Erziehung sowie ein Gegenpol zu jenen „weichen“ Werten, welche die Mutter repräsentiert, oder eben jenem Anderen.
Interessant hierbei ist, dass der von Alejandro Jodorwsky Sohn Brontis gespielte Vater keinesfalls als Antagonist gesehen wird. Vielmehr zeigt das Drehbuch seine Bemühungen um gesellschaftliche Anerkennung und gar um Integration innerhalb der Gemeinschaft, auch wenn ihn diese ironischerweise immer mehr von der eigenen Familie entfremden. In eindrücklichen Bildern und durch seine Schauspieler zeigt The Dance of Reality jenen Kampf des Vaters und zugleich des Sohnes, bei dem sich beide zwischen jenen Bemühungen um Konformität und Integration sowie der Individualität und der Familie entscheiden müssen.
Die Fantasie als Flucht und Kampf
Im Kontext dieser Entwicklungsgeschichte spielt, wie in allen anderen Werken des Regisseurs, die Fantasie eine gewichtige Rolle. Wie schon in El Topo oder Fando y Lis gehen Realität und Vorstellung ineinander über, ähnlich einem Tanz wie ihn schon der Titel des Filmes andeutet. Neben biografischen Erfahrungen und Träumen spielen Symbole aus der Bereich des Tarot oder der Mythen- bzw. Sagenwelt eine gewichtige Rolle für die Bildsprache des Filmes. Zum einen zeigt sich die Innenwelt der Figuren, insbesondere des jungen Alejandro, welcher jenem Anderen mit einer Mischung aus Faszination und Abwehr gegenübertritt, motiviert durch jener „Erziehung zu Härte“ von seinem Vater.
Jedoch geht es Jodorowsky in diesen Szenen um mehr als die Familiengeschichte, spannt er doch einen weiten Bogen bis hin zur chilenischen Gesellschaft und deren politischer Entwicklung. Autorität, Nationalismus und Konformismus sind jene Kräfte, welche die sozio-politische Agenda bilden und entscheiden, wer dazugehört und wer nicht. In verschiedenen Episoden aus dem Leben von Vater und Sohn zeigt Jodorowsky, wie dies zu einer inneren Spannung führt, zu Schuld und Trauer, welche in einem entscheidenden Schritt die Identität beider Figuren sowie ihrer Familie entscheiden wird.
OT: „La danza de la realidad“
Land: Chile, Frankreich
Jahr: 2013
Regie: Alejandro Jodorowsky
Drehbuch: Alejandro Jodorowsky
Musik: Adán Jodorowsky
Kamera: Jean-Marie Dreujou
Besetzung: Jeremías Herskovits, Brontis Jodorowsky, Adán Jodorowsky, Pamela Flores, Cristóbal Jodorowsky
Cannes 2013
Filmfest München 2013
SXSW 2014
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