Im Jahre 1665 wütet in England wie auch in vielen anderen Ländern Europas die Pest und rafft tausende Menschenleben dahin, sodass das Leben in der Stadt nicht mehr sicher ist. In dieser Zeit ist Grace (Charlotte Kirk) nicht nur dankbar für die Gesundheit ihrer Familie, sondern auch, dass sie mit ihrer Farm so weit außerhalb der nächsten Stadt leben. Doch auch das Glück der kleinen Familie steht unter keinem guten Stern, als ihr Mann eines Tages von der Pest dahingerafft wird und Grace auf sich alleine gestellt ist. Ihren Vermieter lässt das Schicksal der Familie kalt und er fordert nach wie vor pünktlich seine Familie, wobei er Grace anbietet, Milde walten zu lassen, sollte sie sich ihm gegenüber gefällig zeigen. Als Grace dies ablehnt, zeigt sich der Gutsherr von einer ganz anderen Seite und schmiedet einen teuflischen Plan, der damit beginnt, dass er Grace in der Stadt für das Ableben ihres Mannes verantwortlich macht und behauptet, sie sei eine Hexe. Aus Angst vor den vermeintlich dunklen Mächten der Frau, wird Grace schon bald festgenommen, ihr Haus verbrannt und ihre gerade einmal ein paar Monate altes Kind entführt.
Dies ist jedoch erst der Anfang von Graces Martyrium, denn auf Bestreben des Gutsherren wurde der berüchtigte Hexenjäger John Moorcroft (Sean Pertwee) gerufen, der vor vielen Jahren schon Graces Mutter auf den Scheiterhaufen brachte. Ausgerüstet mit allerlei Folterinstrumenten und viel Geduld macht er sich an die Befragung der jungen Frau, die schon bald zu einem Schauprozess wird. Währenddessen wird Grace geplagt von Albträumen, in denen ihr verstorbener Mann ihr erscheint und sogar der Teufel, der versucht, sie auf seine Seite zu ziehen und Rache zu nehmen für das Unrecht, was ihr widerfahren ist.
Ein Kreislauf der Anschuldigungen
Nach dem kommerziellen wie kritischen Fiasko von Hellboy – Call of Darkness kehrt Regisseur Neil Marshall mit The Reckoning, der in Deutschland bereits letztes Jahr auf dem Fantasy Filmfest lief, zu seinen Wurzeln zurück. Die Mischung aus Horror- und Abenteuerfilm, die auf eine Idee von Drehbuchautor Edward Evers Swindell zurückgeht, versetzt den Zuschauer in eine dunkle Zeit, in der die Pest, Aberglaube und Angst regierte. In einer Zeit, die geprägt ist von Bewegungen wie #MeToo oder der noch immer sehr präsenten COVID19-Pandemie mutet The Reckoning erschreckend aktuell, wie Marshall selber zugeben muss, auch wenn der Dreh bereits ein paar Jahre zurückliegt.
In vielen seiner Filme vermischt Marshall Aspekte der Geschichtsschreibung mit Elementen aus den Bereichen Horror oder Fantasy. Dabei geht es nicht nur um Effekthascherei, sondern vielmehr um eine Botschaft, die sehr viel mehr mit unserer Wirklichkeit zu tun hat, als man zunächst vermutet. Centurion als ein Werk über Kolonialismus oder Dog Soldiers als eines über den ewigen Krieg sind nur zwei Beispiele, wobei The Reckoning wie eine Geschichte über die Kontrolle des Patriarchats erscheint sowie einen gefährlichen Kontrollverlust. Manche Zuschauer mögen sich an die Hassreden oder die Shitstorms im Internet erinnert fühlen, wenn Marshall den Kreislauf der Gerüchte inszeniert als eine sich selbst steigernde Aneinanderreihung von Lügen und Selbstwahrheiten, die für Grace letztlich zum Verhängnis werden. Passenderweise wird sie später während der Verhandlung auch mundtot gemacht, sodass sie diesem falschen Bild nicht widersprechen kann.
Generell ist Marshall, wie schon in seinen anderen Filmen, wenig an Effekten gelegen, sondern in The Reckoning zählt vielmehr die Darstellung einer Atmosphäre der Angst und Paranoia. Am Schicksal der Hauptfigur, gespielt von Marshalls Verlobter Charlotte Kirk, wird gezeigt, wie schnell der bereits erwähnte Kreislauf der Anschuldigungen zum Selbstläufer wird sowie welche Konsequenzen sich für eine Person ergeben, die zudem noch aufgrund ihrer Lage hilflos erscheint. Hier scheint sich Marshalls Inszenierung erzählerisch wie ästhetisch an Werken wie In den Krallen des Hexenjägers oder Der Hexentöter von Blackmoor zu orientieren, welche bisweilen auch den Verlauf einer solchen, teils aus der Luft gegriffenen Anschuldigung nachverfolgten, was leider auch nicht selten der historischen Realität entsprach.
Die große Angst vor der Dunkelheit
Im Zentrum steht aber vor allem das Duell zwischen Grace und jenem Repräsentanten der Ordnung, dem von Sean Pertwee gespielten Hexenjäger. Auch wenn die schöne Kirk wohl nicht so ganz der historischen Realität entspricht, ist ihr Konflikt sehr interessant gespielt, vor allem, wie sie die gegen sie vorgebrachten Beschuldigungen dabei ist zu akzeptieren oder eben abzulehnen. Die in die Handlung verwobenen Fieberträume, in denen ihr der Teufel begegnet, beweisen zum einen Marshalls Vorliebe für fantastische Bilderwelten und zum anderen sein Verständnis für die Entwicklung seiner Hauptfigur, die sich nicht länger in der Rolle des Opfers wiederfinden will.
Auf der anderen Seite erscheint der großartige Sean Pertwee ein Vertreter der Ordnung zu sein, doch auch jener Angst vor der Dunkelheit, was im Falle von The Reckoning gleichbedeutend mit einer Form des Kontrollverlustes ist. Die Folter, welche Marshall nur andeutet oder von der die Kamera lediglich die Folgen zeigt, wirkt wie die Bestätigung einer tief sitzenden Angst, dass dieser Ordnung langsam aber sicher das Narrativ entgleitet.
OT: „The Reckoning“
Land: UK
Jahr: 2020
Regie: Neil Marshall
Drehbuch: Neil Marshall, Charlotte Kirk, Edward Evers-Swindell
Musik: Christopher Drake
Kamera: Luke Bryant
Besetzung: Charlotte Kirk, Joe Anderson, Steve Waddington, Sean Pertwee, Mark Ryan, Rick Warden
Fantasia International Filmfestival 2020
Fantasy Filmfest 2020
SLASH Filmfestival 2020
Sitges 2020
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