La chambre verte Das grüne Zimmer
© Dominique le Rigoleur

Das grüne Zimmer

Inhalt / Kritik

La chambre verte Das grüne Zimmer
„Das grüne Zimmer“ // Deutschland-Start: 23. November 1984 (Kino) // 2. August 2013 (DVD)

Der Erste Weltkrieg mag schon ein paar Jahre zurückliegen, doch für den Journalisten Julien Davenne (François Truffaut) sind die Folgen jeden Tag spürbar. Schließlich macht es ihm sehr zu schaffen, dass er in seinem Freundeskreis der einzige ist, der mit dem Leben davongekommen ist. Als auch noch seine Frau Julie jung verstirbt, kann er sich mit dem Schicksalsschlag nicht abfinden. Und vergessen erst recht nicht. Das will er aber auch gar nicht. Im Gegenteil: Er richtet sich ein eigenes Zimmer ein, gefüllt mit Erinnerungsstücken an die Verstorbene. Doch dann lernt er Cécilia Mandel (Nathalie Baye) kennen, die als Mitarbeiterin eines Auktionshauses selbst um die Bedeutung solcher Erinnerstücke weiß. Sie ist es dann auch, dem er seinen geheimen Plan verrät: Er möchte eine Kapelle errichten, in denen ausschließlich der Toten gedacht wird …

Die Liebe in allen (un-)möglichen Facetten

Mit großen Gefühlen kannte sich François Truffaut natürlich aus. In seinem Klassiker Jules und Jim zeigte er die Schwierigkeiten, wenn aus einer Freundschaft mehr wird. Auch in Das Geheimnis der falschen Braut befasste er sich mit der Natur der Liebe. Damals nahm die Geschichte mit einer Heiratsannonce ihren Lauf. Und dann ist da noch Das grüne Zimmer, einer der wohl seltsamsten Filme, die zu diesem Thema gedreht wurden. Einer der morbidesten ist er ohnehin, wenn hier die Liebe zu einem Menschen über den Tod hinausgeht. Das wird oft im übertragenen Sinne verwendet, wenn sich Leute ihrer eigenen Tiefgründigkeit versichern wollen. Im Fall von Julien darf man dies aber auch deutlich wörtlicher verstehen.

Truffaut selbst übernahm die Rolle des Mannes, der sein Leben dem Gedenken der Toten gewidmet hat. Wie ernst es ihm dabei ist, darf das Publikum in einer frühen Szene von Das grüne Zimmer feststellen. Julien schnauzt darin einen Priester an, der es gewagt hat, seinen trauernden Freund mit den üblichen Plattitüden besänftigen zu wollen. An solchen hat der Witwer jedoch kein Interesse. Er will es sich nicht mit einer Decke auf dem Sofa gemütlich machen und den Schmerz einfach wegkuscheln. Stattdessen will er den Schmerz spüren, will ihn unbedingt, sieht er ihn doch als eine Art Verpflichtung an. Er ist der einzige, der noch da ist, weshalb es seiner Logik zufolge zu seiner Aufgabe wurde, der Toten auf eine Weise zu gedenken, dass auch ja niemand sie je vergessen wird.

Getrieben von einer seltsamen Besessenheit

Dass das nicht unbedingt die gesündeste Reaktion auf den Tod ist, versteht sich von selbst. Basierend auf Geschichten von Henry James (Schloss des Schreckens) erzählt Truffaut, wie ein an und für sich löblicher Einsatz für die Toten zu einer befremdlichen Obsession geworden ist. Die anfängliche Sympathie, die man ihm dafür entgegenbringt, dass er den Priester zum Teufel jagt, weicht bald einer Verwunderung. Es ist sogar ein wenig furchteinflößend, wie sehr er in seinem Schrein, den der der verstorbenen Julie errichtet hat, die Tote über sein eigenes Leben stellt. Das grüne Zimmer handelt von einem Mann, dessen Trauer und Bedürfnis nach Respektbekundung einem bizarren Kult gewichen ist. Man wartet nur geradezu darauf, dass er sich irgendwann an einer Seance versucht oder anderweitig die Toten zum Leben erwecken will.

Gleichzeitig ist es aber natürlich auch eine zutiefst tragische Geschichte, die Truffaut und sein Co-Autor Jean Gruault da zu erzählen haben. Tief traumatisiert von den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs ist er zerfressen vom Survivor’s Guilt, einem Schuldgefühl überlebt zu haben, während andere sterben mussten. Ebenso tragisch ist, dass sich ihm mit Cécilia eine Möglichkeit eröffnet, selbst zu den Lebenden zurückzukehren. Eine Frau, die ihm vor Augen führen könnte, dass es zumindest für ihn ein Leben nach dem Tod geben kann. Doch er ist so sehr in der Überzeugung gefangen, auch bis zu seinem Lebensende die Ehe aufrecht zu erhalten, dass er freiwillig die gesamte Brücke abfackelt, noch bevor er einen Fuß auf diese setzen kann.

Seltsam und tiefgründig

Richtig nachvollziehbar ist das vielleicht nicht. Der Film zeigt eine schon sehr extreme Form der Trauerarbeit, wie man ihr im wahren Leben kaum begegnen wird. Das macht es ein wenig schwierig, sich tatsächlich mit Julien zu identifizieren. Selbst Mitleid ist nicht ganz einfach, so eigenartig bis unheimlich ist der Mann in seiner Obsession. Doch das bedeutet nicht, dass das Drama deswegen ohne Relevanz ist. Das grüne Zimmer befasst sich mit Themen wie Loyalität sowie der Frage, ob es mehr als eine große Liebe im Leben gibt und geben darf. Würde eine Öffnung gegenüber einer zweiten Frau die Beziehung zu der ersten schmälern? Sollte man überhaupt zwei Liebesbeziehungen in einen direkten Vergleich zwingen? Auch wenn Truffaut einige der Fragen unbeantwortet lässt, so hat er mit seinem leisen und zugleich sehr selbstbewussten Film ein spannendes Werk hinterlassen, das vielleicht kein Stoff für Klassiker ist, dafür aber Stoff für einige lebhafte Diskussionen.

Credits

OT: „La chambre verte“
Land: Frankreich
Jahr: 1978
Regie: François Truffaut
Drehbuch: François Truffaut, Jean Gruault
Vorlage: Henry James
Musik: Maurice Jaubert
Kamera: Néstor Almendros
Besetzung: François Truffaut, Nathalie Baye, Jean Dasté, Patrick Maléon, Jane Lobre, Jean-Pierre Moulin, Jean-Pierre Ducos, Laurence Ragon, Serge Rousseau

Bilder

Trailer

Filmpreise

Preis Jahr Kategorie Ergebnis
César 1979 Beste Kamera Néstor Almendros Nominierung

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In „Das grüne Zimmer“ leidet ein Mann unter dem Tod seiner Freunde und seiner Frau, weshalb er sein Leben der Ehrung der Toten gewidmet hat. Das Drama ist ein wenig morbide, dabei aber durchaus interessant und tragisch. Da treffen traumatische Erfahrungen auf befremdliche Obsessionen und interessante Fragen rund um die Liebe, das Leben und den Tod.
8
von 10