Die linke Aktivistin Bahia (Sara Forestier) hat ein Ziel: der Kampf gegen rechte Ideologien! Dafür wählt die Tochter illegaler Einwanderer aus Algerien eine ungewöhnliche Waffe, ihren eigenen Körper. Immer wieder geht sie mit Rechtsradikalen ins Bett, in der Hoffnung, sie von ihren Überzeugungen abbringen zu können. Arthur Martin (Jacques Gamblin) ist da deutlich zurückhaltender, was die Begegnung mit dem anderen Geschlecht angeht. Auch über seine jüdische Herkunft redet er nur ungern, wurden seine Großeltern seinerzeit doch deportiert, was in seiner Familie ein absolutes Tabu ist. Als die zwei sich eines Tages über den Weg laufen, bedeutet das für beide, das eigene Leben zu hinterfragen. Denn auch wenn das gegenseitige Interesse da ist, ganz einfach ist die Begegnung nicht …
Der Kampf um das Ich
Im Zuge der Flüchtlingskrise vor einigen Jahren war es eines der großen Begleitthemen: nationale Identität. Während einige einfach nur keine Lust hatten, die heimischen Errungenschaften mit anderen zu teilen, hatten andere schlichtweg Angst vor einer Überfremdung im eigenen Land. Wenn da Leute auftauchen, die ganz anders sind als ich, und ich meine Heimat mit ihren gewohnten Eigenschaften nicht mehr wiedererkenne, kann das schon ein unheimliches Gefühl sein. Nur schließt sich daran die Frage an: Was genau ist so eine nationale Identität? Woran macht die sich fest? Und gibt es sie überhaupt? Fragen in diese Richtung stellte einige Jahre zuvor bereits Der Name der Leute. Nur dass dies in einem romantischen und vor allem humorvollen Kontext geschieht.
Dabei ist der französische Film weder mit einer herkömmlichen Liebeskomödie noch mit einer Culture Clash Komödie zu vergleichen. Die erste Assoziation, die sich bei Der Name der Leute anbietet, ist die zu Die fabelhafte Welt der Amélie. Beide Filme pflegen einen eher skurrilen Humor, erzählen von schrägen Figuren, deren Macken romantisiert werden. Es hat auch einen leicht märchenhaften Ton, wie hier von der Vergangenheit gesprochen wird, die irgendwie allgegenwärtig ist. Nicht nur, dass Bahia und Arthur sehr von dem geprägt sind, was ihren Familien geschehen ist – ein Erbe, das von Generation zu Generation weitergegeben wird. Es kommt auch durchaus schon mal vor, dass sich Arthur mit seinem jüngeren Ich unterhält.
Die Schatten der Vergangenheit
Diese sehr persönlichen Geschichten haben zugleich aber auch eine universelle Ausrichtung. Mit dem Algerienkrieg wird ein dunkles Kapitel des modernen Frankreich angesprochen, eine der Folgen des europäischen Kolonialismus. Und dann ist da natürlich auch der Zweite Weltkrieg und der Holocaust, der die Familie von Arthur auseinandergerissen hat. Wenn sich hier zwei Menschen begegnen und Gefühle entwickeln, dann geschieht das nicht losgelöst von der Vergangenheit. Zugleich bietet Der Name der Leute einen Blick auf das spätere Frankreich, nimmt sich vor allem die politische Lage zum Ziel. Auch das geht mit Humor einher. Gerade die eher unorthodoxen Methoden von Bahia, ihre politischen Ansichten durchzudrücken, oder auch die Reaktionen auf konservative Erfolge sind für Lacher gut.
Während diese satirischen Seitenhiebe und kleinen Grotesken in erster Linie dem Unterhaltungswert dienen, sind die eigentlich interessanten Punkte die besagten Fragen zur Identität. Regisseur und Co-Autor Michel Leclerc (Eine bretonische Liebe) thematisiert beispielsweise, wie sehr eine Identität auch ein Gefängnis sein kann. So will Arthur sich nicht durch seine traurige jüdische Vergangenheit definieren lassen, weshalb er sie kontinuierlich verschweigt. Bei Bahia wiederum dreht sich vieles um die Frage, ob sie als Araberin wahrgenommen wird und welche Rolle dabei ein Name spielen kann. Denn noch bevor sie sie selbst sein darf, wird sie zu jemandem, der von außen bestimmt ist. Wird sie zu einer dritten Person gemacht.
Eine ungewöhnliche Mischung
Das sind alles wichtige und interessante Themen, über die es sich nachzudenken lohnt. Richtig viel Zeit bleibt dafür aber nicht, da der Film zu viele Stränge gleichzeitig verfolgt. Da muss ja auch noch ein bisschen Familiendrama mit rein. Das Ergebnis ist ein Film, der gleichzeitig verschroben und doch ziemlich direkt ist. Der gerne draufhaut und dabei durch die Gegend tänzelt. Diese Mischung aus Spott, Emotionalität und Absurdität wird sicherlich nicht jedem gefallen. Und doch ist Leclerc mit Der Name der Leute ein sehenswerter Mix gelungen, der sehr stark in einem historischen und konkreten Kontext verankert ist, dem Publikum gleichzeitig die Möglichkeit gibt, sich selbst darin zu suchen und die eigene Identität zu hinterfragen – worin auch immer die bestehen mag.
OT: „Le nom des gens“
Land: Frankreich
Jahr: 2010
Regie: Michel Leclerc
Drehbuch: Baya Kasmi, Michel Leclerc
Musik: Jérôme Bensoussan, David Euverte
Kamera: Vincent Mathias
Besetzung: Jacques Gamblin, Sara Forestier, Carole Franck, Zinedine Soualem, Michèle Moretti, Jacques Boudet
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
---|---|---|---|---|
César | 2011 | Bester Film | Nominierung | |
Bester Hauptdarsteller | Jacques Gamblin | Nominierung | ||
Beste Hauptdarstellerin | Sara Forestier | Sieg | ||
Bestes Original-Drehbuch | Baya Kasmi, Michel Leclerc | Sieg |
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