Eigentlich ist der Fall klar, sollte man zumindest meinen: Als der 19-jährige Leon Labuschagne (Garion Dowds) 1988 in Pretoria sieben unbewaffnete Männer erschießt, dann kann das nur Mord sein. So sieht es auch die Staatsanwältin Kathleen Marais (Andrea Riseborough), die auf eine schnelle Verurteilung und das Verhängen der Todesstrafe pocht. Den Tathergang bestreitet dabei niemand, nicht einmal die Verteidigung. Und doch ist deren Anwalt Johan Weber (Steve Coogan) fest dazu entschlossen, sich für den Angeklagten einzusetzen. Denn für ihn steht fest, dass die Erfahrungen Leons als Wärter in einem Todestrakt ihn derart stark traumatisiert haben, dass er nicht mehr Herr seiner Sinne war …
Die Schatten der Vergangenheit
Eigentlich endete die Apartheid in Südafrika, eine rassistisch motivierte Politik der Segregation, bereits Mitte der 1990er. Doch wie alle dunkleren Kapitel der neueren Menschheitsgeschichte wird auch dieses immer wieder in Filmen aufgegriffen, sei es als Erinnerung an vergangene Verbrechen oder auch als Mahnung, etwas Vergleichbares nicht wieder zuzulassen. Auch Im Todestrakt spielt während der Zeit, genauer Ende der 1980er, als sich das System langsam dem Ende näherte. Doch auch wenn die Ausgangssituation – ein Weißer erschießt sieben Schwarze – die Vermutung provoziert, dass es wieder um das Thema Rassismus geht, in der Geschichte spielt das praktisch keine Rolle.
Vielmehr nimmt sich der Film, der in Deutschland alternativ als Schäfer und Schlachter bekannt ist, des Thema Todesstrafe an, die zu dem Zeitpunkt in Südafrika noch praktiziert wurde. Genauer packt die Adaption eines Romans von Chris Marnewick diese auf zweifache Weise an. Zum einen ist die Frage, ob der Angeklagte bei einer Verurteilung hingerichtet werden sollte. Dass Weber dies ablehnt, ist kein Geheimnis. Er wird recht früh als ein Gegner der Todesstrafe charakterisiert, der den Auftritt vor Gericht auch dazu nutzt, diese Praxis grundsätzlich anzuprangern. Interessanter ist jedoch bei Im Todestrakt die Frage, wie das Ausführen einer Todesstrafe die Menschen beeinflusst, eventuell gar verändert. Lässt einen die Arbeit verrohen? Wird man schneller zum Mörder, wenn man auf staatliche Anweisung hin ohnehin regelmäßig jemanden tötet?
Wenn Täter zu Opfern und Tätern werden
Diese Fragen sind es, die das Drama zu einem Großteil beschäftigen. Denn das ist nicht nur eine Frage der Moral und der Psychologie, sondern vor allem auch der Justiz. Leon, so die Argumentation der Verteidigung, ist nicht allein Täter, sondern auch Opfer. Ein junger Mann, der zu unmenschlichen Handlungen gedrängt wurde und mit diesen dann allein gelassen wird. So etwas droht natürlich schnell, ein bisschen zu sehr zu relativieren. Während in Im Todestrakt viel über die Erfahrungen des Angeklagten gesprochen wird, um ihn menschlicher zu machen, bleiben seine Opfer namenlose Nummern. Das ist zwar verständlich, denn sonst wäre es deutlich schwieriger, für Leon Partei zu ergreifen. Die Abstraktion seiner Tat hilft, einen anderen Blickwinkel einzunehmen. Ein bisschen geschmacklos ist es bei allem Verständnis aber schon.
Ebenfalls unschön ist, wie Regisseur Oliver Schmitz (Klara Sonntag: Kleine Fische, große Fische) auf eine reißerische Weise die Vorgänge inszeniert. Klar machen Szenen in einem Gerichtssaal meist optisch wenig her, weshalb es legitim ist, nach Alternativen zu suchen. In den Flashbacks fiel ihm aber nicht mehr ein, als das Ganze möglichst plakativ darzustellen. Zum Ende hin ist das Drama dann auch von einem sehr aufdringlichen Pathos erfüllt. Im Todestrakt wollte so sehr großes Gefühlskino sein, dass es sich an billiger Manipulation versuchte. Anstatt mal in die Tiefe zu gehen und vielleicht auch mal tatsächlich nach Antworten zu suchen, da begnügte man sich hier mit eindringlich klingenden Schlagworten und ein paar Schockszenen. Manche Punkte verschwinden da plötzlich von der Bildoberfläche.
Interessantes Thema verschenkt
Als Thema ist das natürlich trotz allem interessant. Der Beitrag von der Berlinale 2016 zeigt auf, wie unmenschlich die Menschen sein können, vor allem bei den Flashbacks aus dem Todestrakt. Die Vorstellung, jeden Tag mehrere Leute hinzurichten und danach heimzugehen zu Frau und Kind, so als wäre nichts geschehen, das ist schon mindestens befremdlich. Auch der zwischenzeitlich angeschnittene Punkt, dass Leon Freund und Henker zugleich ist, ist schon heftig. Aber es wäre doch wünschenswert gewesen, wenn sich das Drama differenzierter mit allem auseinandergesetzt hätte. Vor allem die „Auflösung“ ist so dünn, dass man schon recht enttäuscht sein kann, wie hier so viel Potenzial verschenkt wurde.
OT: „Shepherds and Butchers“
Land: Südafrika, USA, Deutschland
Jahr: 2016
Regie: Oliver Schmitz
Drehbuch: Brian Cox
Vorlage: Chris Marnewick
Musik: Paul Hepker
Kamera: Leah Striker
Besetzung: Steve Coogan, Garion Dowds, Andrea Riseborough
Berlinale 2016
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