June 30th

June 30th

Inhalt / Kritik

Es gibt kaum eine Krankheit, deren Entwicklung für die Familie so grausam ist wie Alzheimer. Während der körperliche Verfall sich bei anderen Gebrechen auf andere Art und Weise zeigt, ist der Angriff auf die Erinnerung gleichbedeutend mit einer Attacke auf das, was den Menschen ausmacht. Angehörige berichten davon, wie man hilflos dabei zusieht, wie sich ein liebgewordener Mensch mit der Zeit verändert, die Krankheit immer mehr Raum einnimmt und es Momente gibt, in denen man denkt, man habe einen Fremden vor sich. Die Tatsache, dass dieser ein bekanntes Gesicht hat, macht diese Momente umso verstörender und hinterlässt noch Jahre nach dieser Erfahrung einen bleibenden Eindruck bei all jenen, die Zeuge wurden. Besonders schlimm ist es, wenn die Krankheit jene Erinnerungen zu überlagern beginnt, die man mit dem Menschen verknüpft, was sie besonders hinterhältig macht.

Auch die Großmutter des Filmemachers und Fotografen Zhang Xun erkrankte an Alzheimer und starb an den Folgen Mitte 2019. In seiner Kurzdokumentation June 30th blickt er zurück auf die letzten Wochen, die er und seine Familie mit der Großmutter verbrachten, wobei der 30. Juni eine besondere Bedeutung erhält. An diesem Tag hat Xun nämlich Geburtstag und am Ende ist dieses Datum, verbunden mit dem Wiedererkennen des Enkels, das einzige, was der alten Frau noch an Erinnerung bleibt. Neben der Dokumentation dieser letzten Wochen blickt der Regisseur mittels diverser Home Videos und Fotografien zurück auf vergangene Geburtstage, sodass June 30th, der auf dem 3. Internationalen Kurzfilmfestival in Peking mit dem Halo Award ausgezeichnet wurde, zu einer Geschichte über Familie und Erinnerung wird.

Ein Bildbuch der Erinnerungen

Das Bild der Großmutter, die mit großen Augen in die Kamera schaut, bildet in gewisser Weise eine Rahmung für die Geschichte. Wenn Zhang wieder zurück zu diesem Moment kommt, sehen wir ihn, wie auch er, mit ganz anderen Augen, haben wir doch eine Reise in die einzige Erinnerung gemacht, die Großmutter und Enkel miteinander verbindet. Inmitten der Handvoll Schnappschüsse und Momentaufnahmen ist es immer wieder das Fragmentarische, das einem als Zuschauer auffällt. Bisweilen wirken Bilder zufällig oder nicht komplett, und werden begleitet von einem schwarzen Bildschirm, der scheinbar signalisiert, dass hier etwas vergessen oder ausgelassen wurde. Zhang betont durch die Bildsprache des Kurzfilms die Endgültigkeit des Vergessens damit genauso wie die emotionale Verbindung zu seiner Familie.

Darüber hinaus dominiert der Eindruck, der Filmemacher, wie auch der Rest der Familie kämpfen um jene Erinnerung an die Großmutter, wie sie früher einmal war. Der Kontrast von der lebensfrohen Frau auf den Fotos hin zu der, die den von ihrer Tochter gemachten Brei durch das Wohnzimmer spuckt, ist deutlich und durchaus grausam. Am Schluss verbleibt man mit dieser Kollektion von Bildern und Momenten, sowie der Ansammlung von Dingen, welche das Leben der alten Frau ausmachten und sucht, wie bei dem 30. Juni, nach einer Verbindung zu der Frau, die man auf den Fotos sieht oder die man aus der Erinnerung noch kennt.

Credits

OT: „Liu yue san shi“
Land: Hongkong
Jahr: 2019
Regie: Xun Zhang
Kamera: Xun Zhang



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"June 30th" ist eine Kurzdokumentation über Erinnerung und Familie. Insbesondere durch seine Bildsprache gelingt es Zhang Xun zu verdeutlichen, wie man als Angehöriger darum kämpft, einen Menschen auf eine bestimmte Weise in Erinnerung zu behalten und jene Verbindung aufrechtzuerhalten.