Nach seiner Kriegsgefangenschaft kehrt der einfache Arbeiter Henri Neveux (Jean Gabin) zurück nach Paris, wo er hofft, sein altes Leben wieder aufnehmen zu können. Doch davon ist nicht viel übrig, seine Frau ist inzwischen gestorben. Und so liegt es an ihm, die Kinder ohne sie aufzuziehen, auch das jüngste, das einer Affäre entsprang. 15 Jahre später sind die drei mehr oder weniger erwachsen, was sein Leben aber nicht wirklich einfacher macht. So haben sein ältester Sohn Louis (Claude Brasseur) und Tochter Odette (Marie-José Nat) zwar ihren beruflichen Weg gefunden. Dennoch kommt es immer wieder zu Streit. Vor allem aber Fernand (Roger Dumas), den er wie einen eigenen Sohn erzogen hat, macht regelmäßig Ärger, fällt durch Raufereien an der Schule auf …
Schwierige Elternrolle
Kinder aufziehen, das ist grundsätzlich eine nicht immer einfache Aufgabe, vor allem wenn Beruf und Familie unter einen Hut gebracht werden müssen. Ist man dann noch alleinerziehend, findet das unter besonders erschwerten Bedingungen statt. Meistens sind es dann die Frauen, welche diese wenig beneidenswerte Doppelrolle erfüllen müssen. In Wiesenstraße Nr. 10 ist es ausnahmsweise der Vater, der diese Aufgabe übernehmen musste. Eine Aufgabe, mit der er immer mal wieder überfordert ist, wie das Publikum feststellen darf. Besonders macht ihm dabei zu schaffen, dass die Kinder nicht immer so wollen wie er, sie Wege einschlagen, die er nicht gutheißt. Da stampft der Mann dann schon mal mit den Füßen auf, auch die eine oder andere Ohrfeige soll es mal gegeben haben, wie er zugibt.
Für ein heutiges Publikum ist das teilweise natürlich schon befremdlich. Seit dem Erscheinungsjahr 1959 hat sich dann doch einiges getan. Anderes ist dafür zeitlos geblieben. Wiesenstraße Nr. 10 beschreibt, wie ein einfacher Mann aus einfachen Verhältnissen versucht, seinen Kindern eine Perspektive zu geben, die er selbst nie hatte. An diesem Bedürfnis hat sich ebenso wenig etwas getan wie an den Klassenunterschieden. Eine längere Passage des Films beschreibt, wie Odette mit einem deutlich älteren, dafür aber auch sehr reichen Mann anbändelt, diesen sogar heiraten will. Wenn Henri diesen zur Rede stellen will, treffen wirklich zwei Welten aufeinander. Der grobe Klotz auf der einen Seite, der gepflegte Lebemann auf der anderen, das kann nur zur Konflikten führen.
Weder Held noch Schurke
Aber auch Henri selbst ist ein wandelnder Widerspruch. Zumindest ist man bei Wiesenstraße Nr. 10 sehr darum bemüht, ihn als einen solchen darzustellen. Gerade zum Ende hin, wenn Fernands Probleme eskalieren und die Frage im Raum steht, ob Henri überhaupt für seine Vaterrolle qualifiziert ist, kommt es zu schwierigen Abwägungen. Die Adaption eines Romans von René Lefèvre beschreibt einen Mann, der so einfach gestrickt ist, dass er den Weg der anderen oft nicht versteht, der seine Kinder aber so sehr liebt, dass er alles für sie tun würde. Der Arbeiter ist damit weder strahlendes Vorbild noch das Scheusal, das man in ihm vielleicht sehen möchte. Er steckt irgendwo dazwischen, was es für das Publikum einfach macht, in ihm Bekanntes wiederzuentdecken. Etwas oder jemandem, was einem aus dem eigenen Leben vertraut vorkommt.
Schön ist dabei, dass der Film über weite Strecken nicht das tränenreiche Melodram sucht, welches das Szenario vermuten ließen. Da wird nicht stundenlang der Tod der Mutter oder auch deren Affäre breitgetreten. Man nimmt die Situation einfach als gegeben an, versucht irgendwie mit der Sache klarzukommen. Erst zum Schluss hin entdeckt Wiesenstraße Nr. 10 eine wenig passende Theatralik für sich. Ohnehin machte man es sich auf den letzten Metern schon ein bisschen sehr einfach. Wenn die ganzen Probleme, mit denen sich die Familie herumplagen musste, einfach so beiseite gewischt werden, dann ist das einfach nicht sonderlich überzeugend.
Sturer Kampf für die eigene Überzeugung
Das ist schon recht schade, weil der Film vorher – trotz so manch konstruiertes Inhalts – schon noch als Sozialdrama durchgeht, welches unter anderem eine sich wandelnde Gesellschaft thematisiert. Zudem überzeugt die schauspielerische Leistung. Im Mittelpunkt steht dabei natürlich die französische Leinwandlegende Jean Gabin (Der Fall des Dr. Laurent, Endstation Schafott) als knurrender Patriarch, dem das alles zu viel wird und der selbst für die späten 1950er altmodisch wirkt. Man muss diesen Mann nicht mögen, der sich schwer mit abweichenden Meinungen und Normen tut. Und doch nötigt es einem einen gewissen Respekt ab, wie er sich von nichts aufhalten lässt, er stur für das kämpft, was er für richtig hält und sich dafür selbst mit deutlich Stärkeren anlegt.
OT: „Rue de Paris“
Land: Frankreich
Jahr: 1959
Regie: Denys de La Patellière
Drehbuch: Denys de La Patellière, Michel Audiard
Vorlage: René Lefèvre
Musik: Georges Van Parys
Kamera: Louis Page
Besetzung: Jean Gabin, Renée Faure, Claude Brasseur, Marie-José Nat, Roger Dumas, Paul Frankeur, Roger Tréville, Dominique Page
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