Zustand und Gelände
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Zustand und Gelände

Inhalt / Kritik

Zustand und Gelaende
„Zustand und Gelände“ // Deutschland-Start: 17. Juni 2021 (Kino) // 22. Oktober 2021 (DVD)

Sie gehören zu den schrecklichsten Symbolen für die Zeit des Holocaust: die Konzentrationslager. Über Jahre wurden darin Menschen jüdischen Glaubens oder andere unerwünschte Personen zusammengepfercht, misshandelt, am Ende ermordet. Viele Jahrzehnte später sind die Bilder dieser Terrororte noch sehr präsent, gerade die nach der Befreiung, wenn das unvorstellbare Ausmaß dieser Vernichtung deutlich wurde. Man sehen konnte und musste, zu welcher Barbarei das hoch entwickelte Deutschland imstande war. Dabei sind diese Lager nur der Endpunkt einer Entwicklung, die schon viele Jahre zuvor eingesetzt hatte, erst im Kleinen, mal hier, mal dort, später als fester Bestandteil des Alltags.

Die Anfänge der Menschenvernichtung

Der essayistische Dokumentarfilm Zustand und Gelände zeichnet diese Entwicklung nach, indem es an die Orte erinnert, die vor diesen Lagern genutzt wurden. Wilde Konzentrationslager wurden diese genannt, noch ohne die perfide Maschinerie, die aus dem Mord Routine machte, aber bereits erfüllt von dem menschenverachtenden Gedanken alle loszuwerden, die irgendwie anders sind oder im Weg stehen: Juden, Kommunisten, Andersdenkende. Schutzhaft wurde die Praxis genannt, all diese Leute wegzusperren. Um diese dem Publikum anschaulich zu machen, wählte Regisseurin Ute Adamczewski jedoch einen ungewöhnlichen Weg. Historische Bilder dieser Zeit gibt es nicht, dafür Aufnahmen der Gegenwart, in denen wir Straßen, Mauern, Gebäude sehen.

Die Brücke zur Vergangenheit schlagen dabei nicht die üblichen Interviews mit Zeitzeugen und Experten, die uns aus der heutigen Perspektive heraus erzählen, was damals geschehen ist. Stattdessen lässt Adamczewski schriftliche Dokumente der damaligen Zeit vorlesen. In diesen wird von der besagten Schutzhaft gesprochen, ein wenig erläutert, worum es dabei ging. Erschreckend dabei ist, dass es sich oftmals um sehr förmliche Texte handelt, deren gewählte Ausdrucksweise in einem starken Kontrast zum wenig zivilisierten Inhalt steht. Zustand und Gelände zeigt auf, dass selbst Verbrechen an der Menschheit in Beamtendeutsch gepackt werden können, mit einer Distanz formuliert, die einen selbst sprachlos zurücklässt.

Das unspektakuläre Grauen

Dazu passt dann eben auch, dass die Bilder so betont unspektakulär sind. Anstatt die Geschichten groß zu dramatisieren oder emotionalisieren zu wollen, da führt Zustand und Gelände vor Augen, wie alltäglich bereits im Jahr 1933 das Verbrechen an den Mitmenschen geworden war. Das lässt auch die immer wieder gern verwendete Entschuldigung im anderen Licht erscheinen, man habe gar nicht gewusst, was da vor sich geht. Zumindest die Leute, deren Briefe oder anderen schriftlichen Erzeugnisse hier verewigt wurden, waren sich durchaus bewusst. Zum Teil mischte man selbst dabei mit, solange es irgendwie zum eigenen Vorteil war. Im Zweifel ist sich dann doch jeder selbst der nächste und opfert da schon mal die anderen, wenn es die Situation erfordert.

Der zweite interessante Faktor ist: Die auf der DOK Leipzig 2019 gezeigte und auch prämierte Dokumentation bewegt sich von dieser Vergangenheit weg hin in unsere Gegenwart. Bei Zustand und Gelände geht es eben nicht nur darum aufzulisten, was damals an diesen Orten geschehen ist, sondern auch wie die Menschen später mit dieser Vergangenheit umgegangen sind. Wie erinnern wir uns das die Verbrechen von damals? Und wollen wir das überhaupt? Der Film wird auf diese Weise zu einer Auseinandersetzung mit der Erinnerungskultur und wie sich diese im Laufe der Jahrzehnte verändert hat. Das bedeutet nicht nur, das historische Erbe noch einmal auszugraben, sondern auch gegenwärtigen Generationen den Spiegel vorzuhalten und sich als Teil einer fortlaufenden Geschichte zu begreifen, welche die Vergangenheit längst zu instrumentalisieren gelernt hat.

Credits

OT: „Zustand und Gelände“
Land: Deutschland
Jahr: 2019
Regie: Ute Adamczewski
Drehbuch: Ute Adamczewski
Kamera: Stefan Neuberger

Bilder

Trailer

Filmfeste

DOK Leipzig 2019
Achtung Berlin 2020

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„Zustand und Gelände“ ist ein interessanter essayistischer Dokumentarfilm, der formelle Schriftstücke zu den Anfängen des Holocausts mit unscheinbaren Aufnahmen der Orte kombiniert. Aber auch die Frage, wie wir mit dieser Vergangenheit umgehen wollen, machen diese faszinierende und zugleich erschreckende Erinnerung aus.