Elektronische Gesundheitskarte, Überwachung im öffentlichen Raum, Corona-Warn-App – der Chaos Computer Club (CCC) nutzt seine Reichweite, um der Politik Impulse aus Expertensicht zu geben und die Öffentlichkeit zu informieren. Seit ich denken kann, ist der CCC eine Institution in der politischen Landschaft Deutschlands – ein Akteur, der meinungsbildend wirkt. Doch hinter dem Verein steht eine idealistische Idee. Und ein Anfang in der DIY- und Sponti-Kultur der 80er. Alles ist eins. Außer der 0. zeigt, wofür die größte europäische Hackervereinigung steht.
Technik für Menschen!
Keiner hat die Prinzipien des CCC so geprägt wie seine Gründungspersönlichkeit – diesen Eindruck erweckt die Dokumentation von Tanja Schwerdorf und Klaus Maeck. Dr. Wau, der eigentlich Herwart Holland-Moritz hieß, nutzte den „Tu wat“-Kongress, der 1981 in den Redaktionsräumen der taz stattfand, um sich mit anderen „Komputerfrieks“ zu vernetzen und sich über die technischen Neuerungen auszutauschen. Fasziniert von der technologischen Entwicklung – der erste „Personal Computer“ wurde 1980 von IBM vermarktet – tauchten Wau Holland und seine Freunde ein in eine Welt der technischen Utopie: In ihrem Zirkel zelebrieren sie einen „kreativen, schöpferischen Umgang mit Technik“, wie es Peter „Poetronic“ Glaser ausdrückte – Herausgeber der Hackerzeitschrift „Die Datenschleuder“, die aus diesen Treffen hervorging. Menschen sollen Technologie beherrschen – nicht anders herum, so das Credo der Idealist:innen um Dr. Wau.
Informationen sind frei!
Alles ist eins. Außer der 0. zeigt diese aufkeimende Subkultur, den DIY-Charakter und die Gemeinschaft, in der sich die Grundsätze der Hackerethik des CCC formen: Informationen müssten frei zugänglich sein. Dasselbe gelte auch für Computer und alle Hilfsmittel, die Informationen zugänglich machen. Die Skepsis gegenüber Autoritäten gehört ebenso zu den Grundsätzen wie die Förderung von Dezentralisierung und die objektive Beurteilung von Hacker:innen anhand ihrer Taten, nicht etwa auf Basis von ethischen, sexistischen oder sozialen Vorurteilen. Computer können eingesetzt werden, um Kunst, Schönheit und eine bessere Welt zu schaffen.
„Don’t mess with data“, fügt Dr. Wau hinzu; und „öffentliche Daten nützen, private Daten schützen“. Den Wert von persönlichen Daten hat er bereits in den Anfängen des Internets erkannt, als sich die Hacker noch mit einem selbstkonstruierten Aufsatz für ein Wählscheibentelefon Zugang zum World Wide Web erbastelten.
In zahlreichen Originalaufnahmen aus dieser skurril anmutenden Zeit, unterlegt mit Songs der Goldenen Zitronen, Abwärts und anderen Bands der deutschen Punkbewegung, schildern Weggefährten von Wau und Mitglieder des Chaos Computer Clubs mit schelmischem Grinsen ihre „Heldentaten“: als das Netzwerk des Bildschirmtexts gehackt wurde, als 125.000 Mark den Besitzer wechselten – durch eine Manipulation im Netzwerk der Deutschen Post und der Änderung des Kennworts. Das Passwort, erzählen die Zeitzeugen schmunzelnd, bestand tatsächlich aus der Telefonnummer des Dienstes. Die staatlichen Stellen sahen damals ziemlich alt aus; laufen dem Fortschritt hinterher – manchmal hat man dieses Gefühl auch heutzutage…
Vom dunklen Keller in den Mainstream
Hacker sind mittlerweile im Pop-Mainstream angekommen: Serien wie Mr. Robot oder Filme wie Who Am I – Kein System ist sicher inszenieren das Knacken von Sicherheitslücken als gefährliches Spiel gegen Geheimdienste und Verbrecher. Eine Vision, die anscheinend nicht allzu weit von der Realität des CCC entfernt war. Schon 1999 brachte der Spielfilm 23 – Nichts ist so wie es scheint die Geschichte des CCC-Mitbegründers Karl „Hagbard Celine“ Koch auf die Leinwand, dessen Tod in Hackerkreisen oft mit seiner Beteiligung am KGB-Hack in Verbindung gebracht wird.
Künstler, Aktivisten, Spione
Das Leben eines Datenkünstlers, wie sich Dr. Wau selbst bezeichnete, erscheint auch in der Doku als eine Gratwanderung zwischen Spielerei und Illegalität. Das Aufzeigen von Sicherheitslücken in Staatssystemen rief im Ost-West-Konflikt Geheimdienste auf den Plan, mit deren Angeboten und Drohungen auch der CCC konfrontiert wurde. Der Film spannt ein geschichtliches Panorama auf, das die engen Verbindungen des CCCs und den kosmopolitischen Ereignissen klarmacht. Zum Beispiel als der Super-GAU in Tschernobyl zeigte, wie wichtig das Verbreiten von verlässlichen Informationen war. Der CCC nutzte sein Technik-Know-how, um Informationen, die staatliche Stellen damals nicht verbreiten konnten oder wollten, den Menschen zugänglich zu machen. Whistleblower wie Chelsea Manning und Edward Snowden kommen zu Wort, die als Ehrenmitglieder des CCC für die Werte von Dr. Wau vertreten und weitertragen.
Am Ende des Film fragen sich die Zuschauer:innen mit dem aktuellen CCC-Sprecher Linus Neumann zurecht: „Wie konnte Dr. Wau so weitsichtig sein? Wie konnte er das alles, was uns aktuell beschäftigt, vorhersehen?“ Die Arbeit des Chaos Computer Clubs und seine Werte sind heute aktueller und wichtiger den je.
OT: „Alles ist Eins. Außer der 0.“
Land: Deutschland
Jahr: 2020
Regie: Klaus Maeck, Tanja Schwerdorf
Drehbuch: Klaus Maeck, Tanja Schwerdorf
Musik: Alexander Hacke
Kamera: Hervé Dieu
Was machte Wau Holland zu einem Visionär? Und welche Bedeutung hat Überwachung in unserem Alltag? Diese und weitere Fragen haben wir Klaus Maeck und Tanja Schwerdorf in unserem Interview zu ihrer Doku Alles ist Eins. Außer der 0. gestellt.
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