Als Journalistin hat Anne (Juliette Binoche) schon die unterschiedlichsten Themen behandelt. Doch ihr neues hat es in sich: Sie arbeitet an einem Artikel über junge Studentinnen, die sich als Prostituierte etwas dazuverdienen. Zu diesem Zweck trifft sie sich immer wieder mit Alicja (Johanna Kulig) und Charlotte (Anaïs Demoustier), die ihr freimütig von ihren Erfahrungen erzählen. Während sie so immer tiefer in deren Leben eintaucht, ihre Hintergrundgeschichten erfährt und von den Mechanismen zwischen Sex und Geld lernt, beginnt sie auch ihr eigenes Leben zu hinterfragen. Denn in ihrer Ehe läuft nicht immer alles so, wie sie es sich wünschen würde …
Das Leben als Prostituierte
In Filmen ist die Figur der Prostituierte oft nur ein Mittel zum Zweck. Sie kann die geheime Heilige mit dem goldenen Herzen sein, welche den Helden rettet. Manchmal muss sie auch selbst gerettet werden. In Krimis wird sie auch gerne mal zur Informantin, da keiner wie sie die Straße kennt. Als Individuum treten sie hingegen eher selten auf. Meistens werden sie dann doch letztendlich dadurch definiert, in welcher Beziehung sie zum männlichen Protagonisten stehen und welchen Nutzen sie haben. Dass es auch anders geht, zeigt Das bessere Leben, welches zwar schon mit bekannten Motiven arbeitet, daraus aber etwas durchaus Spannendes macht.
Mit Geschlechterbildern und den damit verbundenen Rollen kennt sich Małgorzata Szumowska natürlich aus. Die polnische Regisseurin und Co-Autorin nimmt sich dieses Thema immer mal wieder vor, oft in ungewohnten Kontexten. In The Other Lamb zum Beispiel wählte sie eine obskure Sekte, die von einem einzigen Mann geleitet wird und in dessen Wirkungsbereich Dutzende von Frauen um Anerkennung und Selbstbehauptung kämpfen. Bei dem einige Jahre zuvor erschienenen Das bessere Leben ging sie in eine ähnliche Richtung, spielte ebenfalls mit Abhängigkeiten und der Frage, wo eine Frau in der Beziehung zu einem Mann sich anordnet.
Vom Suchen und Sinnlichkeit
Das geht klar auch mit dem Thema der Erotik einher, mit Lusterfüllung. In dem Drama wurde den jungen Frauen zwar vom Leben übel mitgespielt. Sie sind aber keine reinen Opfer, deren Situation schamlos ausgenutzt wird. Zum Teil finden sie in ihrer Arbeit Spaß, vielleicht gar eine Sinnhaftigkeit. Charlotte hätte beispielsweise Alternativen. Aber wozu, wenn es auf diese Weise einfacher geht, sich ihren Lebensunterhalt zu finanzieren? Und doch schwingt da immer eine Ambivalenz mit, da sind Zweifel, da ist ein Suchen nach dem, was sie genau wollen. Besonders gilt das natürlich für Anne, die in der Begegnung mit den beiden jüngeren Frauen nicht nur Stoff für einen Artikel findet. Das bessere Leben erzählt auch von jemanden in mittleren Jahren, die auf einmal alles überdenken muss und will. Die in der Monotonie ihres Alltags vielleicht doch auch mehr erhofft. Die sich ein bisschen vernachlässigt fühlt, inmitten ihrer Familie vereinsamt.
Das ist natürlich großes Schauspielkino. Während die französische Ausnahmeschauspielerin Juliette Binoche klar im Zentrum des Interesses steht, können ihre beiden Kolleginnen durchaus mithalten und stellen starke Kontrastpunkte und Gegenentwürfe da. Zusammen mit der stilsicheren Inszenierung von Szumowska wird daraus ein sehenswertes Drama, das frei ist von Verurteilungen, dabei genauso wenig heroisiert. Stattdessen gewährt Das bessere Leben Einblicke in das Leben dreier grundverschiedener Frauen, stellt Not und Luxus nebeneinander, bürgerliche Vorstellungen und natürliche Lust, welche hinter der Fassade brodelt. Am Ende steht dann vielleicht nicht die große Erkenntnis, aber doch so viele Facetten und Einzelmomente, für die es sich lohnt, Zeit mit den drei Frauen zu verbringen.
OT: „Elles“
Land: Frankreich, Polen, Deutschland
Jahr: 2011
Regie: Małgorzata Szumowska
Drehbuch: Tine Byrckel, Malgoska Szumowska
Musik: Paweł Mykietyn
Kamera: Michał Englert
Besetzung: Juliette Binoche, Anaïs Demoustier, Joanna Kulig
Toronto International Film Festival 2011
Berlinale 2012
Tribeca Film Festival 2012
Filmfest München 2021
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