Eigentlich führt Greville Wynne (Benedict Cumberbatch) ein recht unspektakuläres Leben. Er ist trotz kleinerer Entgleisungen glücklich mit Sheila (Jessie Buckley) verheiratet, hat mit ihr einen Sohn. Seine Arbeit als Geschäftsmann führt ihn zwar in viele Länder. Abenteuer erlebt er dabei jedoch kaum. Das ändert sich eines Tages, als die CIA-Agentin Emily Donovan (Rachel Brosnahan) ihn zu einer ganz besonderen Mission überredet: Er soll als Kontaktmann für Oleg Penkowski (Merab Ninidze) dienen. Dabei handelt es sich um einen vormals hochrangigen Sowjetoffizier, der noch immer gute Kontakt hat – und damit Zugang zu brisantem Infomaterial. Vor allem eines bereitet ihm sorgen: Parteichef Nikita Khrushchev (Vladimir Chuprikov) plant, Raketen auf Kuba zu installieren, was den Kalten Krieg noch zusätzlich zu befeuern droht. Mithilfe von Wynne sollen Aufnahmen von der Geheimmission dem Westen zugespielt werden. Der lässt sich darauf ein, bringt sich selbst damit jedoch in Lebensgefahr. Und auch sein Familienleben leidet unter den mysteriösen Reisen nach Moskau …
Erinnerung an den Kalten Krieg
Dreißig Jahre ist es mittlerweile her, dass der Kalte Krieg sein Ende fand. Doch noch immer werden im Kino oder im Fernsehen Geschichten erzählt, die zu dieser Zeit spielen und aus der angespannten Situation zwischen dem Westen und dem Osten Profit zu schlagen versuchen. Das mag aus einer nostalgischen Verklärung heraus entstehen, wenn damals die Einteilung in gut und böse schön einfach war. Das macht es leichter, sich selbst als Held zu inszenieren. Vielleicht trifft die Erinnerung an früher aber auch auf einen Nerv, wenn fortlaufende Konfrontationen mit Russland und China einen erneuten Kalten Krieg zu einer realen Vision der unmittelbaren Zukunft werden lassen. Wer kann schließlich schon mit Gewissheit sagen, was die gegenseitigen Provokationen und die wiederkehrenden Machtspiele noch alles anrichten werden?
Prophetische Qualitäten hat Der Spion in der Hinsicht jedoch keine. Im Gegenteil: Die britisch-amerikanische Coproduktion ist eine durch und durch altmodische Angelegenheit. Zum Teil ist das natürlich allein schon durch das Setting und das Szenario vorgegeben. Ein 60er Jahre Spionagefilm gibt natürlich schon einiges vor. Allerdings zeigt Regisseur Dominic Cooke (Am Strand), ursprünglich eigentlich im Theaterbereich zu Hause, auch wenig Ambitionen, die Vorlage in irgendeiner Form zu modernisieren. Das betrifft beispielsweise die starke Schwarzweißzeichnung, welche nach dem alten Denkmuster den Westen und die Sowjetunion einteilt. Das wird wenig subtil auch durch die Farbgebung offensichtlich, die in England spürbar wärmer ist als in Moskau. Hinter dem Eisernen Vorhang dominieren die Grautöne.
Der Spion, das unbekannte Wesen
Während diese patriotische Ausrichtung für viele zu verschmerzen sein dürfte, sind andere Mängel schon gravierender. Einer davon ist, dass Wynne zwar konstant im Mittelpunkt steht, man aber trotzdem nicht so recht weiß, wer er eigentlich sein soll. Einen durch und durch unauffälligen Vertreter für geheime Spionageaktivitäten zu gewinnen, mag effizient sein. Spannend ist es eher nicht. Es wird auch nie so richtig überzeugend. Beispielsweise sind die gelegentlichen Verweise auf die Affären des Protagonisten kaum mit dem biederen und stocksteifen Auftreten des Briten zu vereinbaren. Wenn ganz zum Schluss noch Originalaufnahmen des realen Wynne eingespielt werden, dann wirkt der auch deutlich lebendiger als die Version, die uns Cumberbatch vorspielt.
Diese oberflächliche Charakterisierung fällt auch deshalb auf, weil der Film über weite Strecken auf tatsächliche Spannungselemente verzichtet und sich vor allem auf die Figuren konzentriert. Erst ganz zum Schluss, vielleicht um die ansonsten recht ruhige Geschichte zu kompensieren, wird dann auf einmal richtig aufgedreht. Nur passt auch das nicht so recht zusammen. Der Spionagethriller, der auf dem Sundance Film Festival 2020 Premiere feierte, wirkt da nicht wie aus einem Guss. Deutlich interessanter ist Der Spion, wenn es um die Beziehung zwischen Wynne und den anderen Figuren geht. Die allmähliche Freundschaft zwischen ihm und Penkowski steht dabei diametral gegenüber seiner Ehe, die unter der Geheimnistuerei leidet. Der Mittelteil ist damit der beste, auch weil das Ensemble an dieser Stelle die Möglichkeit hat, ein bisschen schauspielerisches Talent zu beweisen. Aber selbst mit diesen gelungenen Szenen reicht es nur fürs solide Mittelfeld. Es hätte da schon mehr Komplexität gebraucht als das, was hier gezeigt wird.
OT: „The Courier“
Land: UK, USA
Jahr: 2020
Regie: Dominic Cooke
Drehbuch: Tom O’Connor
Musik: Abel Korzeniowski
Kamera: Sean Bobbitt
Besetzung: Benedict Cumberbatch, Merab Ninidze, Rachel Brosnahan, Jessie Buckley, Vladimir Chuprikov, Angus Wright
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