In der Doku Alles ist Eins. Außer der 0. tauchen Tanja Schwerdorf und Klaus Maeck in die Welt von Hackern, Datenkünstlern und Spionen ein: Anfang der 80er gründeten ein Haufen selbstbezeichneter „Computerfrieks“ den Chaos Computer Club (CCC) – die Filmemacher fangen diesen Pioniergeist und die DIY-Kultur dieser Zeit in kurzweiligen Originalaufnahmen, Zeitzeugenberichten und einem packenden Soundtrack ein. Wir fragten anlässlich des Kinostarts am 29. Juli 2021 nach den Gründen für diese Nostalgie-Doku.
Hallo Tanja, hallo Klaus. Vielen Dank für eure Zeit. Wir starten gleich mit der ersten Frage: Warum ein Film über den Chaos Computer Club?
Klaus: Schon lange überfällig – ein Film über den CCC und über die Gründerseele Wau Holland, der ja unser Hauptprotagonist unseres Films ist… Gründerseele ist ja eigentlich nicht der richtige Ausdruck. Er war nicht der Einzige, der die Idee hatte, aber doch der Aktivste am Anfang. Und das, was er vor fast vierzig Jahren auf den Weg gebracht hat, begleitet uns noch heute.
Könnt ihr euch an eure erste Berührung mit dem CCC erinnern?
Tanja: Ich wusste vom CCC Kongress. Er fand eine Zeit lang immer in Hamburg statt und das hab ich so am Rande mitbekommen. Das hatte auch immer etwas mit Party zu tun. Da waren nicht nur Vorträge, sondern da war auch immer partymäßig was los. Das war meine erste Begegnung mit dem CCC Kosmos, also ganz rudimentär. Und dann, als klar war, dass wir einen Film machen wollen, hab ich mich sehr intensiv mit dem CCC beschäftigt und war beeindruckt von der Arbeit, die der Club leistet.
Klaus: Meine erste Begegnung war wesentlich früher, weil ich Wau Holland schon kannte, als er den CCC gegründet hat. Ich war damals noch nicht in der Filmbranche, aber ich wollte immer schon Filme machen. Ich hab damals für ein Kabelpilotprojekt arbeitet – es gab damals noch kein Kabelfernsehen, aber es gab diese ganzen Pilotsender – und damals durfte ich Wau Holland über die Schulter gucken bei einem Live-Hack. Die Szene ist auch im Film gelandet…
…in der er sich mit einem Wählscheibentelefon ins Netz einwählt…
Klaus: …genau, das war noch vor dem Internet, nämlich das BTX (Bildschirmtext Anm. der Red) und da brauchte man noch einen Akustikkoppler, um den Telefonhörer damit zu verbinden. Die frühen Hacker haben sich da selbst etwas gebastelt, denn die Bundespost hatte damals das Monopol. Telefonieren war sehr teuer damals und sie haben Wege erforscht, wie man Kommunikation allen zugänglich machen könnte. Es ging damals schon um Kommunikation – das Thema, das bis heute vorherrscht …
Klaus, du hast die Zeit von und mit Wau Holland erlebt und hast die Musik dieser Zeit im Soundtrack von Alles ist Eins. Außer der 0 verewigt: Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Musik von damals und der CCC-Bewegung?
Klaus: Es gibt einen Song, der in ganzer Länge im Film gelandet ist, was ja eigentlich ungewöhnlich ist. Der ist zur exakt gleichen Zeit entstanden wie der Chaos Computer Club: der Song Computerstaat der Punkgruppe Abwärts. Die hatten nichts miteinander zu tun, aber das war der Zeitgeist. Man sah damals einen „Computerstaat“, einen Überwachungsstaat, auf sich zukommen. Das galt sowohl für Ost und West. Man hat gemerkt, dass der Staat einfach mehr überwacht. Ich finde das eine ganz interessante Parallele.
Heute würde man gar nicht mehr so stark den Staat verdächtigen, sondern heute sind das große, globale Konzerne, die überwachen, weil sie Geld mit uns machen. Da ist ein Überwachungskapitalismus gewachsen – und das haben Wau Holland und die CCC-Weggefährten schon früh erkannt – obwohl es das Internet noch nicht gab. Sie haben erkannt, was alles möglich ist – an guten wie an schlechten Dingen. Das war schon damals Hollands Bewusstsein und es hat leider Jahrzehnte gedauert, bis es auch zu uns vorgedrungen ist.
Linus Neumann, der Sprecher des CCCs, formuliert am Ende des Films die Frage „Wie konnte Dr. Wau das alles vorhersehen?“ Habt ihr da eine Antwort drauf?
Tanja: Ich glaube, er hat verstanden, was der Computer als Technik mit sich bringt. Und war außerdem ein kluger Kopf. Ich denke, diese Kombination hat dazu geführt, dass er diese Rückschlüsse ziehen konnte. Er hat gesagt: „Sobald etwas nicht mehr auf einem Papier steht, sondern in irgendeiner digitalen Form zur Verfügung steht, ist „es“, also sind die Daten überall verfügbar. Davon ausgehend hat er sich überlegt: Was kann dann passieren und wie schafft man es, diese Daten dennoch sicher zu halten. Und er hat auch mal den wunderbaren Satz gesagt: „Sicherheit ist kein Zustand. Sicherheit ist ein Prozess.“ Man muss also immer am Ball bleiben …
Überwachungsstaat, Überwachungskapitalismus – habt ihr das Gefühl, diese Skepsis gegenüber der Technik lässt mit der Zeit nach? Aktuell hat man ja eher das Gefühl, dass den Menschen Datensicherheit immer unwichtiger wird: Geht dieses Bewusstsein des CCCs verloren?
Klaus: Ja, das ist ja leider so. Diese Sensibilität für Datenschutz möchten wir mit diesem Film wieder wecken: die eigene Faulheit und Trägheit überwinden und sich nicht einfach auf Facebook und Co. gehenlassen. Da gehört ja einiges dazu, denn es gibt auch Alternativen zu den großen sozialen Netzwerken: kleine Netzwerke, Messenger-Dienste, Webbrowser, Suchmaschinen, die ihre Daten nicht an Google liefern. Das kann man ganz einfach einstellen, wenn man sich aufrafft und sich damit beschäftigt. Ich glaube, das merken auch immer mehr Menschen, gerade jetzt in den letzten Jahren: gerade jetzt, wo so viel passiert ist durch Fehlinformationen, Fake News, Datenklau…
Deshalb ist es die große Aufgabe des CCC, das Bewusstsein zu schärfen, Korrektiv zu sein gegenüber Konzernen und Regierungen und auch ein guter Ratgeber – was der Club ja mittlerweile ist, denn er wird oft genug gefragt.
Eine Frage noch zu eurer beider Filmschaffen: Ihr habt beide Erfahrung in der Produktion und in der Regiearbeit – was liegt euch mehr?
Tanja: Meine Vorliege liegt in der Regie – und auch wenn ich damals mit Klaus Erfahrung in der Produktion sammeln durfte, bin ich doch sehr froh, dass er jetzt der Produzent ist und ich mich auf die kreative Arbeit stürzen durfte.
Klaus: Ich muss gestehen, dass Regie nicht meine Stärke ist. Ich hab ja schon sehr viele Filme produziert und das ist jetzt die dritte Doku, für die ich Regie führen durfte. Aber mir geht das Produzieren einfacher von der Hand und deshalb suche ich mir leichter Menschen, die die anderen Aufgaben wahrnehmen. Aber das Medium Film hat mich sehr früh gepackt: Bei meinem ersten Projekt Anfang der 80er hab ich einfach Blut geleckt und wollte nicht aufhören damit. Musste dann aber und bin erst über einen großen Umweg zurück zum Film gekommen, weil es nicht einfach war, davon zu leben: nebenbei zu schreiben, Filme zu schneiden und sie dann fertigzustellen …
Hat der Langfilm noch eine Zukunft im Zuge der immer kürzer werdenden Aufmerksamkeitsspanne des Internetpublikums?
Tanja: Ich glaube, wenn er spannend gemacht ist und eine thematische Relevanz mitbringt, dann packt man Leute euch eine längere Zeit. Also ich glaube, das Rezept lautet: thematische Relevanz, Spannung und Ästhetik. Wenn man ästhetisch überzeugt mit etwas, was man bis dahin noch nicht so gesehen hat. Aktuell schaffen es Serien ja auch Geschichten, über einen längeren Zeitraum zu erzählen. Ich glaube schon, dass die Leute Lust und Interesse an längeren Handlungssträngen haben.
Hat Alles ist Eins. Außer der 0 das Zeug zu so einem ästhetischen, relevanten und spannenden Film?
Klaus: Entscheiden wird das ja eher der Zuschauer, aber genau das haben wir versucht. Durch die wilde Mischung der verschiedensten Found-Footage-Formate entsteht natürlich eine sehr eigenwillige Ästhetik und unsere Protagonisten und deren Entwicklung sind allemal spannend. Was die Relevanz betrifft – in einer Zeit, wo Informationen und Daten so wichtig geworden ist, dass ihr Missbrauch zum täglichen Nachrichtenalltag gehört, könnte unser Thema gar nicht relevanter sein.
Apropos interessantes Sujet: Was ist ein Hacker für euch und warum ist diese Figur so interessant für die Popkultur?
Klaus: Ich finde es sehr interessant, wie Wau selbst das Hacken oder einen Hacker definiert: Ein Hacker ist jemand der kreativ und schöpferisch mit Dingen umgeht. Und das betrifft ja nicht nur Computer. Inzwischen sind ja auch sogenannte Life Hacks in aller Munde. In diesem Sinn trifft das auch einen Spruch der frühen Hacker: Hacken ist auch mit einer Kaffeemaschine Kartoffelpüree zu machen. Das ist der Begriff des Hackens für mich. Wobei der sehr in Verruf gekommen ist durch skandalöse Hacks, wie auch im Film thematisiert: Der KBG-Hack oder als die Nasa gehackt wurde. Aber das Hacken beschränkt sich ja nicht darauf. Unser Anliegen war tatsächlich auch, diese positive Definition des Begriffs Hacker wieder aufleben zu lassen.
Und das ist meiner Meinung nach geglückt. Vielen Dank für eure Zeit und die Interview-Möglichkeit!
(Anzeige)