Als eines Tages ihre Tochter verschwindet und wenig später sie von angeblichen Erpressern kontaktiert wird, beginnt für Cielo (Arcelia Ramírez) der schlimmste Albtraum ihres Lebens. Da sie nur knapp über die Runden kommt und von ihrem Ex-Mann Gustavo (Álvaro Guerrero) wenig bis gar keine finanzielle Unterstützung zu erwarten ist, kann sie die erforderliche Summe, welche die Entführer verlangen, alleine gar nicht aufbringen. Nun muss sie doch Gustavo hinzuziehen, der zunächst einmal ihrem Mangel an Vorsicht die Schuld für die Misere gibt, dann aber doch einen großen Teil des Geldes aufbringt, was jedoch den Kidnappern nach der Übergabe sofort auffällt. Zwar gelingt es den Cielo, diese wieder zu besänftigen und den noch fälligen Betrag zu zahlen, doch von ihrer Tochter fehlt nach wie vor jedes Lebenszeichen, entgegen der Versprechung der Entführer, sie sofort nach der Geldübergabe auszuliefern. Auch die Polizei, die Cielo nach sechs Tagen kontaktiert, kann ihr nicht helfen, scheinen sich die Beamten doch hinter der Bürokratie sowie der vielen ähnlichen Fällen zu verstecken, die ihre Zeit beanspruchen. Doch für Cielo sind solche Entschuldigungen nicht genug, sodass sie in einem mutigen Schritt Kontakt mit dem Militär aufnimmt.
Während Gustavo ihr Vorwürfe macht, aber ansonsten untätig Zuhause sitzt, macht sich Cielo derweil in der Stadt auf die Suche nach Anhaltspunkten für den Aufenthaltsort ihrer Tochter. Die Verfolgung einer Verbrecherbande auf eigene Faust bleibt jedoch nicht unbemerkt, sodass sie zur Zielscheibe des Kartells wird, welches ihr Angst machen will und sie massiv bedroht. Dann aber wendet sich das Blatt für Cielo, als sie von Kommandant Lamarque (Jorge A. Jimenez) und seiner Truppe besucht wird, die sie und ihr Wissen über die Stadt für ihre eigenen Zwecke benötigen, wobei sie im Gegenzug der Mutter bei der Suche ihrer Tochter helfen. Zwar freut sich Cielo ungemein, nun endlich Hilfe zu erhalten, doch die brutalen Methoden Lamarques sind nicht viel anders als die ihrer Gegner.
„So ist es schon immer gewesen.“
Es ist kein Geheimnis, dass in Mexiko die Drogenkartelle immer wieder Menschen entführen und von ihnen Lösegelder erpressen, wobei sie auch vor einflussreichen oder populären Personen nicht zurückschrecken. In ihrem ersten Spielfilm La Civil erzählt die belgisch-rumänische Regisseurin Teodora Mihai von einem solchen Fall, dem Leid und der Ungewissheit der Angehörigen, aber zugleich von einer Mutter, die es leid ist, zu Hause auf ein Lebenszeichen ihrer Tochter zu warten und selbst tätig wird. Der Film, welcher bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes zu sehen ist, zeigt eine Gesellschaft, die von Angst und Gewalt bestimmt ist und in der jeder Mensch, ob kurz oder lang, Teil von dieser Dunkelheit wird.
War die Armut, die Arbeitslosigkeit und das Elend noch ein Witz für Mutter und Tochter zu Beginn des Films, holt die Realität beide schon nach wenigen Stunden ein. Im Gegensatz zu anderen Entführungsdramen ist diese Tat kein dramatischer Höhepunkt, sondern wird mit einer gewissen Beiläufigkeit von Entführern wie auch später von den Behörden gehandhabt, was den Frust wie auch die Angst von Menschen wie Cielo nur noch verstärkt. Mihai erzählt vielmehr von einem Prozess des Aufwachens, des Verstehens, dass es keinesfalls nur um ein individuelles, sondern um ein gesellschaftliches Problem geht, was gemeinhin als Normalität gilt und in dem jede Familie auf der einen oder anderen Seite betroffen ist. „So ist es schon immer gewesen“, ist einer jener Sätze, der diese Tatsache hervorhebt, aber auch die Resignation vor der Gewalt, die einfach akzeptiert wird und mit der man sich nun arrangieren muss.
Vom Beobachter zum Vollstrecker
Jedoch impliziert dieser Verstehensprozess noch eine andere Entwicklung für die von Arcelia Ramírez gespielte Cielo. Der Frust über die eigene Hilflosigkeit, die Angst vor der Gewalt des Kartells und die Ungeduld über die Tatenlosigkeit der Behörden kulminieren in einer unermesslichen Wut, wie man sie aktuell in vielen Teilen Mexikos spürt. Mihais Inszenierung, kombiniert mit den Bildern von Kameramann Marius Panduru, zeigen die Entwicklung dieser Wut hin zu einer Teilhabe an diesem Strudel der Gewalt, bei dem sich beide Seiten eine Art Wettstreit in Sachen Skrupellosigkeit liefern. Die unruhigen Bilder sowie die realistische Inszenierung unterstreichen die soziale Wirklichkeit dieser Gewalt, die nicht nur schockiert, sondern in der ein moralisches Urteil über die Beteiligten den Zuschauern nicht immer leicht gemacht wird.
In der Hauptrolle ist Arcelia Ramírez als Cielo die tragende Figur der Geschichte. Durch ihr kluges, sensibles Spiel wird dem Zuschauer die Entwicklung dieser Frau von einer passiven Hausfrau und Mutter hin zu einer aktiven Sucherin nach der Wahrheit gezeigt. Ihr Frust und ihre Wut dürfen dabei stellvertretend verstanden werden für eine ganze Gesellschaft, welche Brutalität und Korruption in ihrem Herzen akzeptiert zu haben scheint, aber nun dieser Umstände überdrüssig geworden ist.
OT: „La Civil“
Land: Belgien, Rumänien, Mexiko
Jahr: 2021
Regie: Teodora Mihai
Drehbuch: Habacuc Antonio De Rosario, Teodora Mihai
Musik: Jean-Stephane Garbe
Kamera: Marius Panduru
Besetzung: Arcelia Ramírez, Álvaro Guerrero, Jorge A. Jimenez, Ayelén Muzo, Daniel Garcia, Alessandro Goñi Bucio, Eligio Meléndez, Mónica Del Carmen, Mercedes Hernández
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