Für Jason (Jonas Dassler) gibt es eigentlich nur eins im Leben: sein Skateboard. Ständig ist er auf diesem unterwegs, übt die neuesten Tricks, will an bedeutenden Wettbewerben teilnehmen. Doch das ist eines Tages schlagartig vorbei, als er in einen schweren Unfall verwickelt wird. Auf der Suche nach Therapiemöglichkeiten wird seine Mutter Marlene (Anke Engelke) auf eine Klinik in der Schweiz aufmerksam. Die einzige, die wirklich Erfolg verspricht. Und so packt sie ihren Sohn, der sich anfangs dagegen sträubt, in ihr altes Auto, um quer durch Deutschland zu fahren. Einfach wird das nicht, ist das Verhältnis der beiden doch schon seit einer ganzen Weile schwierig. Gleichzeitig eröffnet die gemeinsame Fahrt für die beiden die Möglichkeit, sich nach einer langen Phase der Entfremdung wieder anzunähern …
Ich fahre, also bin ich
Das inoffizielle Motto der meisten Roadmovies lautet: Der Weg ist das Ziel. Sicher gibt es fast immer einen Ort, zu dem die Protagonisten und Protagonistinnen unterwegs sind. Vielleicht liegt auch ein bestimmter Anlass vor, um die weite Reise zu starten. Oft ist das aber nur der Vorwand für die eigentliche Geschichte, die sich unterwegs abspielt. Je nach Film kann diese etwas unterschiedlich gewichtet sein. Während manche Roadmovies ihren Fokus darauf legen, während der Fahrt möglichst ungewöhnliche Ereignisse oder Begegnungen zu zeigen, entscheiden sich viele dafür, von der Beziehung der Fahrenden zu erzählen. Besonders Annäherungen entfremdeter Familienmitglieder stehen hoch im Kurs. Ob nun Kodachrome, Leanders letzte Reise oder Helle Nächte, erzählt wird, wie Verwandte, die nicht viel miteinander anfangen können, sich wieder besser kennen- und schätzen lernen.
Das ist bei Mein Sohn nicht wirklich anders. Sicher ist der Anlass gravierend, wenn sich ein junger Mensch bei einem Unfall schwer verletzt. Dass der einzige Ort, an dem er vernünftig behandelt werden kann, aber hunderte von Kilometer entfernt ist und der Betroffene zudem nicht fliegen darf, ist mit guten Gewissen als ziemlich konstruiert anzusehen. Das muss man als Zuschauer und Zuschauerin einfach als gegeben akzeptieren. Am Zielort angekommen, wird das Thema zwar schon noch mal aufgegriffen. Das geschieht aber nur kurz. Die Frage, was Jason mit seinem Leben anfangen will, wenn es mit dem Skateboard nicht mehr weitergeht, taucht auf, wird aber gleich wieder abgebrochen. Der Film interessiert sich nicht so recht dafür.
Die Geschichte einer kaputten Beziehung
Stattdessen befasst sich Regisseurin und Drehbuchautorin Lena Stahl in erster Linie mit der komplizierten Familiengeschichte. Dabei lässt sie sich schon auch Zeit. Die zuvor stärker als Autorin beschäftigte Filmemacherin, die mit Mein Sohn ihr Spielfilmdebüt als Regisseurin gibt, macht zwar früh klar, dass Mutter und Sohn nicht gut miteinander können. Doch woran das liegt, verrät sie nicht. Erst später gewährt sie zunehmend einen Blick hinter die Kulissen, lässt durchschimmern, was in den Leben der beiden alles schief gegangen ist. Den einen Knackpunkt arbeitet sie jedoch nicht heraus. Vielmehr dreht sich die Geschichte um zwei Persönlichkeiten, die konträr sind und in Folge zu jeder Menge Konflikte führen. Jason ist unbekümmert, Marlene vorsichtig. Er will alles ausprobieren und begegnet der Welt mit einer ziemlichen Naivität, sie ist zynischer und etwas desillusioniert.
Das Drama, welches auf dem Filmfest München 2021 Premiere feierte, lebt dabei maßgeblich von der Darstellung des Duos. Anke Engelke, die einst eher als Ulknudel verkannt wurde, zeigt wie zuletzt in Das letzte Wort, dass sie eine hervorragende Charakterschauspielerin sein kann. Jonas Dassler (Lomo – The Language of Many Others) wiederum gefällt durch seine unbekümmerte, zuweilen recht kindliche Darstellung eines jungen Mannes, der sehr viel weniger vom Leben versteht, als er zugeben möchte. Die Interaktion der beiden liefert unterwegs eine Reihe von Gründen, weshalb es sich lohnt, sich Mein Sohn einmal anzuschauen. Das schauspielerische Talent kann aber nicht so ganz darüber hinwegtäuschen, dass der Film inhaltlich eher dünn ist. Die Annäherung der beiden erfolgt eher mechanisch, ohne dass man das Gefühl hat, da habe sich wirklich etwas entwickelt. Es ist nicht immer ganz plausibel, was da geschieht. Das reicht dann noch für ein insgesamt solides Werk, das aber unter seinen Möglichkeiten bleibt.
OT: „Mein Sohn“
Land: Deutschland
Jahr: 2021
Regie: Lena Stahl
Drehbuch: Lena Stahl
Musik: Angela Aux, Cico Beck, Nicolas Sierig
Kamera: Friede Clausz
Besetzung: Anke Engelke, Jonas Dassler, Hannah Herzsprung, Karsten Antonio Mielke, Max Hopp, Golo Euler
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