Als Jacob (Steven Yeun) zusammen mit seiner Frau Monica (Ye-Ri Han) und den beiden Kindern David (Alan Kim) und Anne (Noel Kate Cho) von Los Angeles auf eine kleine Farm in Arkansas zieht, dann trifft das nicht bei allen auf Begeisterung. Während Jacob davon träumt, dort Gemüse aus ihrer Heimat Korea anzubauen und zu verkaufen, können die anderen von der amerikanisch-koreanischen Familie nicht viel mit dem Landleben anfangen. Zu fremd fühlen sie sich in der ungewohnten Umgebung. Später stößt noch Großmutter Soon-Ja (Yuh-Jung Youn) hinzu, die sich ein wenig um die Kinder kümmern soll, während die Eltern arbeiten. Doch gerade David, der sich das Zimmer mit ihr teilen muss, fremdelt, entspricht die schlagfertige alte Frau doch so gar nicht seiner Vorstellung, wie sich Großeltern verhalten sollten …
Ein Film zwischen den Kulturen
Bahnte sich da eine neue Sensation an? Nachdem im Vorjahr der südkoreanische Genremix Parasite die wichtigsten Filmpreise abgeräumt hatte, darunter den Oscar als bester Film des Jahres, schickte sich mit Minari – Wo wir Wurzeln schlagen gleich der nächste Titel an, vorne mitzumischen. Sechs Nominierungen, dazu auch in den Hauptkategorien: Das muss man erst einmal schaffen. Tatsächlich zu vergleichen sind beide Werke jedoch nicht. Denn während der Überflieger des Vorjahres eine zwar universelle, letztendlich aber auf Südkorea ausgerichtete Gesellschaftskritik äußerte, erzählte Minari von einer Familie, die sich am amerikanischen Traum versuchte. Nur tut sie das eben als ausländische Familie in der eigenen Landessprache, weshalb der Film bei den Golden Globes auch „nur“ als bester fremdsprachiger Film berücksichtigt wurde. Für eine Nominierung in der Hauptkategorie wurde zu wenig Englisch gesprochen.
Auf die Qualität von Minari – Wo wir Wurzeln schlagen lässt das natürlich keine Rückschlusse zu. Und doch ist das Chaos um die Sprachen irgendwie bezeichnend für einen Film, der davon handelt, zwei Kulturen irgendwie unter einen Hut bekommen zu wollen. So hat die Familie viel aus der ursprünglichen Heimat mitgenommen. Das Gemüse, das sie anbauen, steht dabei symbolisch für die eigenen Wurzeln, die auch in einem fremden Land noch gepflegt werden wollen. Dazu getrunken wird jedoch eine süßliche Limonade, wie sie typischer für die USA nicht sein könnte. Und auch sonst kommt es ständig zu Überkreuzungen der Kulturen, sei es beim Sprachmischmasch, der innerhalb wie außerhalb der Familie gesprochen wird, oder auch wenn die Oma ihre Liebe fürs Wrestling entdeckt.
Leises Drama am Rande
Dabei verzichtet Regisseur und Drehbuchautor Lee Isaac Chung, der hier seine eigenen Kindheitserfahrungen als koreanisch-amerikanische Familie in der amerikanischen Provinz aufgreift, auf die naheliegenden Mechanismen einer solchen kulturellen Begegnung. Minari – Wo wir Wurzeln schlagen ist weder Culture Clash Komödie, die mit peinlichen Missverständnissen unterhalten will. Noch handelt es sich um ein Rassismusdrama, welches von der Not von Minderheiten in den USA erzählt. Dann und wann kommt es zwar schon zu Situationen, in denen beide Seiten erst einmal wenig miteinander anfangen können, wenn etwa David sich fragen lassen muss, warum sein Gesicht so flach ist. Doch diese Beispiele sind recht selten, die ländliche Bevölkerung steht den Neuankömmlingen eher mit Neugierde als Misstrauen gegenüber.
Die außenstehende Welt ist ohnehin nur Hintergrund. Sehr viel mehr ist Chung an der Dynamik innerhalb der Familie interessiert. Dabei sind es vor allem zwei Paarungen, die er genauer beleuchtet. Auf der einen Seite ist Jacob, der dem amerikanischen Traum hinterherjagt und den Rest vor vollendete Tatsachen stellt, was zu Konflikten mit seiner Ehefrau führt. Die andere betrifft Großmutter und Enkel, die zunächst nicht so recht zusammenfinden, sich mit der Zeit aber annähern. Solche Geschichten gibt es natürlich nicht zu knapp, vergleichbare Generationenbilder sind in Filmen immer wieder gefragt. Dem Drama, das auf dem Sundance Film Festival 2020 Premiere feierte, gelingt es jedoch, die bekannten Elemente so darzustellen, dass sie bei aller Universalität doch auch persönlich und individuell wirken.
Exzellent gespielt und bewegend
Das ist neben der einfühlsamen und genauen Beobachtungsgabe von Chung ein Verdienst des Ensembles. Nebendarstellerin Yuh-Jung Youn (Taste of Money – Die Macht der Begierde, Beasts Clawing at Straws), die hierfür als erste Asiatin seit 1958 einen Oscar gewonnen hat, zeigt als renitente, später gebrechliche Großmutter eine unglaubliche Leinwandpräsenz. Vor allem aber das Zusammenspiel der fünf trägt maßgeblich dazu bei, dass der Film eine derartige Bewegkraft entwickelt. Dabei braucht Chung noch nicht einmal unbedingt das große Drama. Nur selten lässt er sich zu einer wirklichen Zuspitzung hinreißen. Stattdessen zieht er es vor, leise seine Geschichte zu erzählen, mithilfe vieler für sich genommen unspektakulärer Szenen. Das könnte für manche zu ruhig sein, zu ziellos. Und doch ist dem Filmemacher eines der schönsten Dramen der letzten Jahre geglückt, erzählt von Familienzusammengehörigkeit und der Suche nach kultureller Identität.
OT: „Minari“
Land: USA
Jahr: 2020
Regie: Lee Isaac Chung
Drehbuch: Lee Isaac Chung
Musik: Emile Mosseri
Kamera: Lachlan Milne
Besetzung: Steven Yeun, Ye-Ri Han, Alan Kim, Noel Kate Cho, Yuh-Jung Youn, Will Patton
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
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Academy Awards | 2021 | Bester Film | Nominierung | |
Beste Regie | Lee Isaac Chung | Nominierung | ||
Bester Hauptdarsteller | Steven Yeun | Nominierung | ||
Beste Nebendarstellerin | Yuh-Jung Youn | Sieg | ||
Bestes Original-Drehbuch | Lee Isaac Chung | Nominierung | ||
Beste Musik | Emile Mosseri | Nominierung | ||
BAFTA Awards | 2021 | Bester fremdsprachiger Film | Nominierung | |
Beste Regie | Lee Isaac Chung | Nominierung | ||
Bester Nebendarsteller | Alan Kim | Nominierung | ||
Beste Nebendarstellerin | Yuh-Jung Youn | Sieg | ||
Beste Musik | Emile Mosseri | Nominierung | ||
Bestes Casting | Julia Kim | Nominierung | ||
Film Independent Spirit Awards | 2021 | Bester Film | Nominierung | |
Beste Regie | Lee Isaac Chung | Nominierung | ||
Bestes Drehbuch | Lee Isaac Chung | Nominierung | ||
Bester Hauptdarsteller | Steven Yeun | Nominierung | ||
Beste Nebendarstellerin | Yuh-Jung Youn | Sieg | ||
Beste Nebendarstellerin | Yeri Han | Nominierung | ||
Golden Globe Awards | 2021 | Bester fremdsprachiger Film | Sieg |
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