Von einem kleinen Ort auf dem Lande zieht Daniel (Bernd Feuerhelm) nach Berlin, wo er hofft, eine Arbeit zu finden und dem spießigen Elternhaus zu entkommen. Dort findet er schnell Anschluss an die Schwulenszene, bald auch schon mit Clemens (Berryt Bohlen) seinen ersten Freund. Die beiden haben eine zunächst sehr liebevolle Beziehung, doch so richtig trennen kann sich Daniel nicht von den bürgerlichen Werten, mit denen er aufwuchs. Schließlich trennen sie sich, vor allem da Daniel in einem reichen Geschäftsmann (Ernst Kuchling) einen neuen Liebhaber gefunden hat, der ihn in die Welt der Kunst und Mode einführt. Wilde Partys und Exzesse definieren das Leben auf dem großen Anwesen sowie sexuelle Eskapaden, wenn der Reiche seine ebenfalls wohlhabenden, älteren Freunde einlädt, die großen Gefallen an Daniel und dessen Körper finden. Mit der Zeit wird dies Daniel zu oberflächlich und er ist angewidert von der Verdorbenheit seiner Umfeldes.
Wieder in der Stadt versucht Daniel erneut eine Beziehung zu finden, in den Lederbars, in den Park und schließlich in den öffentlichen Toiletten. Eigentlich sind es aber nur kurze, auf Sex auslegte Treffen, die zudem noch bedroht sind durch Banden, welche den Schwulen auflauern und sie verprügeln. Immer mehr wird sich Daniel bewusst, dass er sich zwar von der Welt seiner Eltern verabschiedet hat, nicht aber vor deren Werten, denn wie andere Homosexuelle auch lebt er einsam und muss sich verstecken, aus Furcht vor den Repressalien, die ein Coming-out mit sich bringt.
Ein Programm für die Schwulenbewegung
In einem Statement zu Nicht der Homosexuelle … beschreibt Regisseur Rosa von Praunheim, dass sein Film nicht zuletzt seine angestaute Wut zum Ausdruck bringen sollte, da die Homosexuellen auf die „Nettigkeit der Gesellschaft“ warteten, anstatt selbst zum Motor der Veränderung zu werden. Nach der Liberalisierung von §175 StGB war zwar der Grundstein gelegt für ein öffentliches schwules Leben, doch dies konnte erst stattfinden, wenn man diese neue Freiheit auch wirklich nutzte, wie es von Praunheim sah. So ist Nicht der Homosexuelle … in erster Linie als ein programmatischer Film zu verstehen, der teils sehr pointiert und provokant formuliert, wie ein solches Leben aussehen kann.
Um Geld zu sparen, wurde Nicht der Homosexuelle … als Stummfilm gedreht und der gesprochene Text separat eingesprochen. Neben den nicht synchronen Dialogen der Schauspieler formuliert das Voice-Over Volker Eschkes einen nicht unwesentlichen Teils der Ideen des Films, welcher die Geschichte um den von Bernd Feuerhelm gespielten Daniel fast nur nebenbei erzählt. Die Entwicklung des jungen Mannes, seine Erlebnisse und Begegnung dienen vor allem zur Untermauerung vieler Punkte, beispielsweise der Wichtigkeit bürgerlicher Werte für die Homosexuellen, das Interesse an Kultur und Mode sowie die Rolle des Alters und der Einsamkeit.
Angst und Selbsthass
Bei den ersten Ausstrahlungen provozierte von Praunheims Film durchaus die Gemüter, sodass sich beispielsweise der Bayerische Rundfunk weigerte, Nicht der Homosexuelle … auszustrahlen oder sich auch Teile der Schwulenbewegung in einem falschen Licht sahen. Die Ästhetik des Films, vor allem das bereits erwähnte Voice-Over, sind so etwas wie ein direkter Angriff auf den Zuschauer. Der Tonfall reicht dabei von erklärend und mitfühlend bis hin zu offen aggressiv, wenn es darum geht, die gegenwärtige Situation der Homosexuellen Anfang der 1970er darzustellen, welche sich durch Angst, Selbsthass und Einsamkeit definierte.
Für von Praunheim sowie auch den Zuschauer, der dem Film aufmerksam folgt, resultiert daraus eine eindeutige Forderung, oder vielmehr ein ganzer Katalog, welcher sich aus Forderungen wie der Emanzipation von bürgerlichen Rollenbildern und einem neuen Selbstbewusstsein auszeichnet. Der Ernüchterung über die immer neuen, aber erfolglosen Versuche des Protagonisten, eine liebevolle Beziehung auszubauen, folgt der Blick auf ein allgemeines Phänomen, inwiefern sich dies auf Homosexuelle im Allgemeinen übertragen lässt und was mögliche Gründe dafür sind. Dieser Blick ist schmerzhaft, ehrlich und wird wohl auch noch heute Zuschauer provozieren, sind doch viele der Themen, welche von Praunheim anspricht, nach wie vor aktuell.
OT: „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“
Land: Deutschland
Jahr: 1971
Regie: Rosa von Praunheim
Drehbuch: Rosa von Praunheim, Martin Dannecker, Sigurd Wurl
Kamera: Robert von Ackeren, Rosa von Praunheim
Besetzung: Volker Eschke, Bernd Feuerhelm, Berryt Bohlen, Ernst Kuchling, Steven Adam Czewski, Manfred Salzgeber
Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.
(Anzeige)