In Vietnam, wie auch in vielen anderen Kulturen Südostasiens, ist es mittlerweile normal geworden, dass gerade junge Menschen teilweise weit entfernt von ihren Familien, in anderen Ländern, Arbeit suchen. Als billige Hilfskräfte im Bau- oder Dienstleistungsgewerbe sind sie für viele Firmen unentbehrlich geworden, werden sie doch unter dem gesetzlichen Minimum bezahlt und können gleichzeitig ihre Familien in der Heimat etwas Geld am Monatsende überweisen. Ihr Leben in diesen fremden Ländern ist aufgrund ihres Status als Fremde, teils auch illegale Einwanderer, eine Schattenexistenz, die geprägt ist von der Furcht entdeckt zu werden. Immer wieder gibt es Vorfälle, die auf das Leben dieser Menschen aufmerksam machen, so auch der Tod eines 27-jährigen Vietnamesen, der 2016 ums Leben kam, als ein taiwanesischer Polizist neunmal auf ihn schoss. Wie viele seiner Mitmenschen war auch Regisseur Che-Hsien Su schockiert von den Ereignissen und widmete sich dem Vorfall in seinem Kurzfilm Nine Shots, der gerade im Rahmen des diesjährigen Filmfests Dresden zu sehen ist.
Im Zentrum der Handlung steht Ah Fei, ein junger Vietnamese, der nach Taiwan gekommen ist, um Geld für seine Familie zu verdienen und überhaupt eine Arbeit zu finden. Sein Job als Hafenarbeiter ist zwar schlecht bezahlt und hart, doch die Gemeinschaft mit den anderen jungen Männern und Frauen bietet ihm zumindest etwas Ablenkung, beispielsweise, wenn sie zusammen zum Strand gehen oder durch die Stadt ziehen. Jedoch kommt es eines Tages, als Ah Fei am Strand liegt und sich sonnt zu einer schicksalhaften Begegnung mit dem etwa gleichaltrigen Polizisten Hai. Als seine Frage nach den Papieren unbeantwortet bleibt und Ah Fei schließlich aus Angst vor dem Polizisten wegläuft, kommt es zu einer schrecklichen Tragödie.
Wir und die anderen
In Interviews über seinen Film beschreibt Su, dass Nine Shots nicht nur auf die Behandlung von Menschen wie Ah Fei aufmerksam machen will, sondern generell einen Blickt darauf richtet, wie die Beziehungen zwischen Taiwan und den Nachbarländern ist. Wie auch der Fall George Floyd in den Vereinigten Staaten geht es nicht alleine um die individuelle Tragödie, denn diese wirft ein Licht auf soziale wie systemische Probleme, angefangen bei Rassismus bis hin zu Machtmissbrauch. Von daher erklärt sich auch der Wechsel der Perspektive des Kurzfilms, der nicht nur die Sicht Ah Feis, sondern zudem die des Polizisten und seiner Eltern berücksichtigt.
Wie für eine solche Geschichte zu erwarten, ist Sus Ästhetik geprägt von einem Realismus, der Sachverhalte andeutet, was aber immer auf einen größeren Zusammenhang hindeutet. Seien es die Arbeitsbedingungen Ah Feis oder ein Disput zwischen Hai und einem Kollegen, sie alle vereint eine Verweis auf ein Netzwerk von Themen, die in der Gesellschaft entweder geduldet oder ignoriert werden, oder eine gefährliche Eigendynamik entwickelt haben.
OT: „Nine Shots“
Land: Taiwan
Jahr: 2020
Regie: Che-Hsien Su
Drehbuch: Che Hsien Su
Kamera: Kao Tzu Hao
Besetzung: Shao-cian Lin, Wei-hsien Chen
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