In den letzten Jahren kam es wieder zu einer verstärkten Auseinandersetzung mit dem Konzept der Heimat. Ist dieser Begriff noch aktuell in einer Zeit der Globalisierung, wenn alle Länder eng miteinander verzahnt sind? Wenn fremde Kulturen auch mithilfe des Internets allgegenwärtig sind? Das geht für nicht wenige mit Verlustängsten einher, der Befürchtung, dass man vielleicht nicht mehr man selbst ist. Verstärkt wurden die Diskussionen durch die großen Migrationsbewegungen, etwa die 2015 vielbeschworene Flüchtlingskrise. Manche nutzten diese zwar irrationalen, aber doch sehr realen Ängste, im eigenen Land fremd zu sein, zum eigenen Profit. Die Sehnsucht nach einer Heimat wurde zum Verkaufsschlager von Populisten, die sich weltweit auf zynische Weise daran bereicherten.
Eine lange Vorgeschichte
Dabei braucht es keine Millionen umherwandernder Menschen oder medial befeuerte Kulturkämpfe, um sich im eigenen Land etwas fremd zu fühlen. Das geht auch einfacher, wie das Beispiel Holger Gutt zeigt. Der ist eigentlich Deutscher, wurde 1990 in Erding geboren, ging in einem Münchner Vorort zur Schule, lebte auch anschließend im Süden Deutschlands. Und doch war da immer das Gefühl, irgendwie anders zu sein, nicht so ganz dazuzugehören. Schließlich stammten seine Eltern aus Siebenbürgen, einer Region im heutigen Rumänien, die im Laufe der Jahrhunderte wechselnden kulturellen Einflüssen ausgesetzt war und über lange Zeit eine größere deutsche Minderheit beherbergte. Das macht die Zugehörigkeit ein wenig schwierig, wie Gutt früh in Sehnsucht nach einer unbekannten Heimat erzählt.
Der sehr persönliche Dokumentarfilm handelt dann auch von der Frage, woran sich eine Identität festmacht. Und natürlich: Was ist eine Heimat? Gutt tut dies jedoch nicht in hypothetischen Diskussionen oder durch die Befragung von Experten, welche sich dem Thema allgemein nähern. Er mag es lieber konkreter. Genauer schnappt er sich seinen Vater und tritt eine immerhin 1600 Kilometer lange Fahrt an. Ziel ist das Dorf in Rumänien, in dem dieser früher aufgewachsen ist. Während für den Vater die Reise damit auch eine in die eigene Vergangenheit bedeutet, bedeutet sie für den Sohn die Erkundung einer Welt, die gleichzeitig neu und doch ganz nah ist. Schließlich liegt dort auch die Antwort – so zumindest die Hoffnung –, wer er selbst ist.
Die Suche nach den eigenen Wurzeln
Sehnsucht nach einer unbekannten Heimat erzählt damit nicht nur von einer kulturellen Begegnung, sondern auch einer Annäherung über die Generationen hinweg. Gutt darf seinen Vater noch einmal von einer anderen Perspektive aus kennenlernen, dabei mehr darüber erfahren, wo er herkommt. Das ist sympathisch mitanzusehen, manchmal auch unterhaltsam, wenn sie sich in Diskussionen verlieren, welche Großmutter nun wo gewohnt hat. Typische Familiengespräche eben, die viel Identifikationsfläche schaffen. Der Dokumentarfilm lebt maßgeblich von der Interaktion und den Gesprächen der beiden und ganz allgemein von der persönlichen Note der beiden. Darüber hinausgehende Informationen, etwa zur Geschichte Siebenbürgens, sind hingegen eher rar. Dann und wann wird das Thema zwar mal aufgegriffen. Es bleibt aber immer ein Randnotiz, der Schwerpunkt liegt auf der Familiengeschichte.
Schade ist in dem Zusammenhang, dass die Musik so aufdringlich und teils unnötig dramatisch ist, was nicht wirklich zu der Intimität der Geschichte passt. Da wäre weniger mehr gewesen. Von diesem Manko einmal abgesehen ist Sehnsucht nach einer unbekannten Heimat aber ein schöner Dokumentarfilm, der gleichzeitig ein individuelles Schicksal beleuchtet, dabei aber auch ganz allgemeine Fragen mit auf den Weg gibt. Dass es für diese keine allgemeingültigen Antworten gibt, liegt ein wenig in der Natur der Sache. Der Film handelt mehr vom Suchen als vom Finden. Aber er macht doch Lust, sich mit den eigenen Wurzeln auseinanderzusetzen, die Eltern anzurufen, vielleicht ein altes Familienalbum auszupacken, um darin auch den eigenen Lebensweg nachzuzeichnen – so verschlungen und weitläufig dieser am Ende sein mag.
OT: „Sehnsucht nach einer unbekannten Heimat“
Land: Deutschland
Jahr: 2021
Regie: Holger Gutt
Drehbuch: Tobias Schmidt, Michaela Smykalla, Tobias Drexel, Anita Hauch
Musik: Andreas Begert
Kamera: Tobias Schmidt, Tobias Drexel, Holger Gutt, Anita Hauch, Marcel Chylla
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