Bald 30 Jahre sind Grace (Annette Bening) und Edward (Bill Nighy) mittlerweile verheiratet und sie könnten nicht glücklicher sein. Das zumindest dachte Grace. Umso größer ist der Schock bei ihr, als ihr Mann den Besuch von Sohn Jamie (Josh O’Connor) nutzt, um das Ende ihrer Ehe anzukündigen. Schon länger war er sich bewusst, dass diese nicht funktioniert, fand aber nie den Mut, es seiner Frau zu sagen. Erst jetzt, als eine andere aufgetaucht ist und er für sie Gefühle entwickelt hat, ist er zu diesem schwierigen Schritt bereit. Für Grace kommt das jedoch überhaupt nicht in Frage. Sie wird Edward nicht kampflos ziehen lassen, so viel steht fest. Doch mit der Zeit muss sie sich fragen: Was, wenn er nicht zurückkommt? Kann sie überhaupt noch ein Leben ohne ihn führen?
Ein später Neuanfang
In den letzten Jahren hat es eine Reihe von Filmen gegeben, in denen ältere Damen noch einmal einen neuen Schritt im Leben wagen, sich an etwas Unbekanntem versuchen und damit zu sich selbst finden, siehe etwa Tanz ins Leben oder Britt-Marie war hier. Das hat dann immer etwas sehr Lebensbejahendes. Dem Publikum soll schließlich ein bisschen Mut gemacht werden, dass es nie zu spät ist, um noch Spaß zu haben und sich am Leben zu erfreuen. Das gilt selbst dann, wenn die Vorgeschichte sehr bitter ist: Anstoß war bei diesen Filmen oft, dass die Frau von ihrem Mann betrogen und deshalb quasi zur Neuorientierung gezwungen wurde. Denn das alte Leben gab es ja nicht mehr.
Auf den ersten Blick ähnelt Wer wir sind und wer wir waren den besagten Titeln. Auch hier geht es um eine Frau im fortgeschrittenen Alter, die auf einmal vor dem Nichts steht. Auch hier landete der Mann in den Armen einer anderen. Der Film hat aber nichts von der Versöhnlichkeit der Konkurrenz. Er sagt nicht, dass danach alles ganz toll ist, wenn man sich nur darauf einlässt. Die bitterste Szene erfolgt gegen Ende, wenn Edwards neue Freundin zu Grace sagt, dass vorher drei Leute unglücklich gewesen seien. Nun sei es nur noch eine. Tatsächlich lässt Grace erst gar nicht zu, dass sie noch ein Glück finden könnte. Für sie ist die Vorstellung inakzeptabel, dass die Ehe vorbei sein soll, nur weil Edward diese nicht mehr will. Das dürfe so einfach nicht sein.
Von dreien, die nicht miteinander können
Regisseur und Drehbuchautor William Nicholson (Solange ich atme), der hier sein eigenes Theaterstück The Retreat from Moscow für die Leinwand adaptierte, konzentriert sich in der Geschichte dann auch auf den Gegensatz zwischen den beiden Eheleuten. Während sie sehr direkt ist und immer versucht, ihren Willen durchzusetzen, geht er Konflikten gern aus dem Weg – was manchmal des Öfteren wörtlich zu verstehen ist. Sohn Jamie wiederum hat die undankbare Aufgabe, als Mittler zwischen beiden zu fungieren. Erfolgreich ist er dabei aber ebenso wenig. Nicht nur, dass er es nicht schafft, die beiden miteinander zu versöhnen – wofür er eh nicht viel tut –, Wer wir sind und wer wir waren zeigt zudem auf, wie fremd er seinen beiden Eltern ist. Eigentlich ist niemand in der Familie in der Lage miteinander zu reden.
Das hat zur Folge, dass der Film irgendwie immer etwas unbefriedigend ist. Denn wo alle Kommunikation versagt, da gibt es keinen Austausch, keine Aufarbeitung des gemeinsam Erlebten. Am Ende von Wer wir sind und wer wir waren ist man nicht wirklich schlauer, was eigentlich mit der Familie ist. Der Unterschied beim Auftreten ist klar, sehr viel weiter wird das aber nicht entwickelt. Erschwerend kommt hinzu, dass die Dialoge derart unnatürlich geschliffen ausformuliert sind, dass man nie das Gefühl hat, es mit realen Menschen zu tun zu haben. Auch wenn wir zwischendurch schöne Aufnahmen der englischen Küste zu sehen bekommen, die Theaterwurzeln sind immer deutlich spürbar. Das hat immer etwas Unwirkliches an sich.
Sehenswert, aber zu wenig
Dass das Drama, welches auf dem Toronto International Film Festival 2019 Weltpremiere hatte, dennoch in Teilen sehenswert ist, ist allein der Verdienst des Ensembles. Selbst wenn sie alle mit dem eher dünnen Inhalt zu kämpfen haben, gelingen ihnen doch immer wieder interessante oder schöne Szenen. Dann und wann sind sogar humorvollere Momente dabei, welche vorrangig auf die bissige Grace zurückgehen. Die ist zwar sicherlich nicht unbedingt sympathisch in ihrer bevormundenden Art. Aber es ist schon faszinierend zuzusehen, wie Annette Bening abwechselnd Poesie zitiert und sich wie ein kleines Kind verhält, das seinen Willen nicht bekommen hat. Schöner wäre es jedoch gewesen, wenn sie und die beiden Männer an ihrer Seite ein besseres Drehbuch bekommen hätten, das sich der Komplexität der Themen wirklich zuwendet, anstatt sich auf den Kontrast zu beschränken.
OT: „Hope Gap“
Land: UK
Jahr: 2019
Regie: William Nicholson
Drehbuch: William Nicholson
Vorlage: William Nicholson
Musik: Alex Heffes
Kamera: Anna Valdez Hanks
Besetzung: Annette Bening, Bill Nighy, Josh O’Connor
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